Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
arbeitete an einem Stickrahmen, während ihre Gefährtin lustlos auf einer Leier spielte.
Alec ließ sich wieder hinunter, umging den Eingang zur Küche in weitem Bogen und setzte seine Bemühungen auf der linken Seite des Hauses fort, auch hier ohne Erfolg. Er wollte bereits aufgeben, als von einem Balkon über ihm ein schwacher Lichtschein in seine Augen fiel. Das mit Ornamenten verzierte Mauerwerk, das die Fenster im Erdgeschoß umgab, bot Alec reichlich Halt. Er kletterte nach oben und schwang sich über die Balustrade. Auf dem Balkon stand ein kleiner Tisch mit zwei Weinpokalen und einer warmen Pfeife darauf.
Die Balkontür stand offen; Alec spähte hinein und entdeckte ein elegant ausstaffiertes Schlafzimmer, das von einer einzelnen Lampe erhellt wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums stand eine weitere Tür offen, und durch diese Tür drangen die Geräusche einer hitzigen Auseinandersetzung. Zwei männliche Stimmen stritten, die eine bebend vor Wut, die andere schrill ihre Unschuld beteuernd.
»Wie kannst du mich nur einer derartigen Sache beschuldigen?« fragte die hellere Stimme.
»Wie kannst du mir ins Gesicht sehen und alles abstreiten?« dröhnte die tiefere. »Du gieriger, stümperhafter Idiot! Du hast mich vernichtet! Du hast diese Familie zerstört!«
»Onkel, bitte!«
»Wage es nie wieder, mich Onkel zu nennen, du falsche Schlange!« schrie der andere. »Von diesem Augenblick an bist du nicht mehr mit mir verwandt!«
Eine Tür fiel krachend ins Schloß, und Alec wich zurück, als ein junger Mann das Schlafzimmer betrat und sich in einen Sessel sinken ließ. Sein stilvoller Hausmantel verriet, daß er der Herr des Hauses war. Er war hellhäutig und trug einen kleinen blonden Kinnbart, an dem er nervös zupfte, während er saß.
Ein nagendes Gefühl des Wiedererkennens regte sich in Alecs Unterbewußtsein, während er das hagere Profil betrachtete. Er konnte den Mann nicht augenblicklich einordnen, doch er war sicher, daß er ihn bereits irgendwo gesehen hatte.
Der Mann war offensichtlich wütend. Er kaute an den Fingernägeln und sprang auf, dann schlug er sich mit der Faust an die Hüfte, während er unruhig im Zimmer auf und ab ging.
Die Bedeutung des kleinen Balkontisches dämmerte Alec beinahe zu spät. Unvermittelt schwenkte der Mann herum und hielt auf die Balkontür zu, um seine Nerven mit Hilfe von Wein und Tabak zu beruhigen. Im letzten Augenblick schwang sich Alec über die Balustrade, bekam zwei der verzierten Säulen zu fassen, und hing nur mit den Händen über dem Abgrund. Der abendliche Nieselregen war Schneeregen gewichen, und der polierte Marmor war schlüpfrig wie Schweineschmalz unter Alecs Griff, während er sich beharrlich festklammerte und mit den Füßen sechs Meter über dem Boden baumelte. Er blickte seitwärts und bemerkte, daß er wahrscheinlich mit dem rechten Fuß das Kranzgesims des Fensters im Erdgeschoß erreichen konnte, doch er wagte nicht, ein Geräusch zu verursachen. Um die Sache noch schlimmer zu machen, reichte seine Seite des Balkons auf die Straße hinaus; es war die natürlichste Sache der Welt für den Fremden auf dem Balkon, sich über das Geländer zu beugen und nach unten zu blicken …
Alec blickte nach oben und sah die Seite der seidenen Pantoffeln des Mannes weniger als einen Fuß von seinen schnell weiß werdenden Knöcheln entfernt. Kaltes Feuer breitete sich in Alecs Handgelenke und Unterarme aus, schwächte seinen Griff und betäubte seine Finger. Schmelzender Schnee tropfte über sein Gesicht und die Hände und rann durch die Ärmel in die Achselhöhlen. Alec biß sich auf die Unterlippe und packte die Säulen noch fester. Er wagte kaum zu atmen.
Gerade als es schien, er müsse das Risiko eingehen und sich fallen lassen, ertönte ein Pochen an der Schlafzimmertür.
Der Mann klopfte sein Pfeife auf der Balustrade über Alec aus und verschwand wieder im Zimmer.
Alec schüttelte die heiße Asche aus dem feuchten Haar und fand auf dem Kranzgesims einen Halt für seinen Fuß. Er stemmte sich mit der Schulter in den Winkel zwischen Balkon und Mauer und streckte seine steifen Finger. Die Balkontür war erneut offengelassen worden, und er konnte deutlich die Unterhaltung im Schlafzimmer über sich hören.
»Gab es Schwierigkeiten mit Alben?« Das war der Hausherr, ruhiger nun und mit Autorität in der Stimme.
»Nicht wirklich, Mylord«, erwiderte der Neuankömmling. »Obwohl er irgendwie nicht mit den Gedanken bei der Sache zu
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