Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
werde.«
Sie erhob sich, streckte sich, und ihr Stab glitt seitwärts und schlug klappernd auf dem Boden auf. Ohne nachzudenken, hob Alec ihn auf und reichte ihn ihr. Als ihre beiden Hände einen Lidschlag lang den Stab gemeinsam berührten, spürte Alec ein nicht unbedingt angenehmes Zittern im Holz.
»Der Schöpfer soll dich diese Nacht beschützen«, sagte sie und tauchte in der Menge unter.
Bis Mitternacht wurde weiter gesungen. Alecs bescheidenes Repertoire war längst erschöpft, aber die Zecher verlangten, daß Seregil weiterspielte, und einige erhoben sich und sangen selbst zum Klang der Harfe. Als der Wirt schließlich bekanntgab, daß er nun schließen müsse, erhielten Alec und Seregil donnernden Applaus, und die meisten der Gäste ließen eine oder zwei Münzen am Tisch neben der Tür. Zufrieden mit seinem guten Geschäftsinn goß der Wirt jedem einen letzten Humpen Bier ein, und die beiden gingen damit in ihr Zimmer.
Seregil warf sich erschöpft auf das Bett und begutachtete die Einnahmen der Nacht, dann reichte er Alec die Hälfte der Münzen. »Wir waren gut, Alec. Dreißig Kupferstücke und zwei silberne. Ich sah, daß du Erisa getroffen hast.«
»Wen?«
»Die Drysierin. Was hältst du von ihr?«
»Sie erscheint mir nicht anders als andere Drysier. Irgendwie …« Er hielt inne und suchte nach dem passenden Wort.
»Beunruhigend?«
»Ja, das ist es. Beunruhigend.«
»Glaube mir, sie können sogar beängstigend sein, wenn sie nur wollen.« Ehe er jedoch Erklärungen abgeben konnte, öffnete sich die Tür, und Erisa selbst betrat leise den Raum.
»Ich dachte schon, du läßt den armen Jungen die ganze Nacht hindurch singen«, schimpfte sie. »Ich gehe davon aus, daß du keiner Heilung bedarfst?«
Seregil zuckte die Schultern und setzte sein schiefes Lächeln auf. »Dich kann ich wohl nicht täuschen. Alec, geh doch hinunter in die Küche. Wir sind beide hungrig, und auch Erisa hatte wohl heute abend keine Zeit, etwas zu essen.«
»Nur Tee und etwas Brot für mich«, sagte Erisa und verschränkte die Arme.
Die beiden warteten offensichtlich darauf, daß er sie allein ließ.
Schon wieder werde ich herumkommandiert! dachte er, als er die Tür heftig hinter sich schloß. Allerdings war er eher neugierig als verärgert.
Die Drysierin mußte die mysteriöse ›sie‹ sein, über die der Blinde gesprochen hatte, aber wer war der Schwertkämpfer, der sein Gesicht hinter der Kapuze verbarg?
Als er den Gang zur Hälfte durchschritten hatte, machte er kehrt und schlich, so leise er konnte, zurück zur Türe.
»Von einem fünfzig Mann starken Trupp wurde berichtet, der ins Westliche Ödland marschiert, oberhalb Wyvern Dug«, sagte Erisa. »Connel entdeckte sie nahe Enly Ford am siebten des Erasin, aber seither gibt es kein Zeichen mehr von ihnen.«
»Ich kann mir ja vorstellen, daß sie die Bergstämme umwerben und versuchen, die Goldstraße unter Kontrolle zu bekommen«, meinte Seregil, »aber in dieser Gegend gibt es nichts als einige barbarische Stämme. Wozu in aller Welt wollen sie dorthin?«
»Das wollte Connel herausfinden. Er folgte ihnen, sobald wir erfuhren, was vor sich ging. Unglücklicherweise hat man seither auch von ihm nichts mehr gesehen oder gehört – Alec, bitte beeile dich mit dem Tee.«
Ein unangenehmes prickelndes Gefühl, das mit dem Blut, das ihm in die Wangen schoß, nichts zu tun hatte, bemächtigte sich seiner, als er die Treppe hinunterhastete. Er ließ sich Zeit bei der Zubereitung des Tees, denn er hatte es nicht eilig, ihr wieder vor die Augen zu treten. Als er zurückkehrte, dankte sie ihm jedoch schlicht und verabschiedete sich.
»Nun, das Bett ist nicht schlecht, aber gerade groß genug für einen. Wo willst du schlafen?« Seregil gähnte, als er sein Hemd auszog. Offensichtlich wollte er nichts über Alecs eigenmächtiges Lauschen sagen.
»Als dein Schüler erwartet man von mir wahrscheinlich, daß ich im Stall schlafe«, meinte Alec, wenig begeistert von der Vorstellung.
»Du denkst wie ein Gassenjunge. Was würdest du mir dort draußen nutzen? Dein Platz ist vor der Tür, falls wir in der Nacht Besucher bekommen sollten. Mach dir dort ein Lager zurecht.«
Als sie sich zur Nacht fertig machten, dachte Alec wieder an die Drysierin.
»Kennst du sie schon lange?« fragte er in die Dunkelheit hinein.
»Erisa? O ja.«
Nach einer Weile wurde Alec klar, daß Seregil dies als zufriedenstellende Antwort wertete. Alec aber wollte mehr wissen.
»Wie hast du sie
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