Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten

war. Wenig erfahrene Bogenmacher ruinierten wohl ein halbes Dutzend Stöcke, ehe sie einen Bogen fertigstellten, aber Radly und seine Lehrburschen kannten das Geheimnis. Mit Öl und Bienenwachs eingelassen, glänzten die schwarzen Bogen wie poliertes Horn.
    Sieben dieser Bogen lagen auf einem langen Tisch in der Mitte des Geschäfts, und Alec inspizierte einen davon. Er prüfte die Linienführung der Verjüngung auf Unebenheiten und besah sich die Platte des Elfenbeinschnitzers, die an der Rückseite des Griffs eingelassen war. Dann wählte er einen, packte ihn zu beiden Seiten und drehte ihn fest; das untere Ende des Bogens löste sich vom Rest.
    »Was tust du?« zischte Seregil erschrocken.
    »Das ist der Bogen eines Reisenden.« Alec zeigte Seregil die Eisenbuchse am Ende des einen Gliedes mit dem winzigen Stift im Handgriff, der die beiden Teile fest miteinander verband, sobald sie zusammengeschoben wurden. »Sie sind leichter zu tragen in schwierigem Gelände oder auf dem Pferd.«
    »Auch leichter zu verbergen«, stellte Seregil fest, als er die beiden Teile miteinander verband. »Hat er die Reichweite eines Langbogens?«
    »Er kann mehr ziehen als achtzig Pfund, das hängt von der Länge ab.«
    »Und was, bitte, bedeutet das?«
    Alec nahm einen anderen Bogen auf und hielt ihn so, als wolle er ihn spannen. »Das bedeutet, falls zwei Männer hintereinander stünden, würde ein Pfeil mit breiter Spitze beide durchbohren. Diese Bogen erlegen nahezu alles, vom Hasen bis zum Hirschen. Ich hörte, daß sie sogar Kettenpanzer durchdringen.«
    »Sie lassen das Herz eines bronzenen Wetterhahnes bluten!« sagte Radly, der sich ihnen nun anschloß. »Es scheint, als verstündet Ihr etwas von der Bogenkunst, junger Herr. Was haltet Ihr von diesen Bogen?«
    »Sie gefallen mir«, sagte Alec und deutete auf die beiden, die er beiseite gelegt hatte. »Aber ich bin mir über die Länge nicht im klaren.«
    »Wir sollten Eure Spannweite messen«, schlug Radly vor.
    Alec hielt einen der Bogen vor sich und zog eine unsichtbare Sehne bis zum Ohr, während der Bogenmacher die Strecke zwischen der Rückseite seines linken Zeigefingers und dem Winkel des Unterkiefers unter seinem rechten Auge vermaß.
    »Beide wären für Euch geeignet«, stellte Radly fest. »Oder dieser hier.« Er zeigte auf einen Bogen, den sich Alec noch nicht angesehen hatte.
    »Mir gefallen diese beiden am besten«, sagte Alec und blieb bei seiner Auswahl.
    Radly hielt beide Bogen nebeneinander hoch. »Seht Euch die eingelegten Elfenbeinplatten an.«
    Das Werkstattzeichen, eine schwarze Eibe, die in das Elfenbein geschnitzt war, schien bei beiden fast identisch, bis er auf das winzige ›R‹ in der Krone verwies, das beide Bogen trugen, die Alec gewählt hatte. Es zeigte an, daß der Meister selbst die Bogen gefertigt hatte, und nicht einer seiner Assistenten.
    »Ihr habt trotz Eurer Jugend ein gutes Auge für Bogen«, stellte der Bogenmacher fest. »Kommt und erprobt sie.«
    Radly spannte die Bogen, und führte seine Kunden hinaus aus der Werkstatt in die Gasse hinter dem Haus.
    Am Ende dieser Gasse waren einige Zielscheiben aufgestellt. Die erste, ein einfacher runder Kreis, war in der Mitte zweier, sich kreuzender Balken aufgemalt. Auch die zweite war ein Kreis, aber der Pfeil mußte, um dorthin zu gelangen, durch drei eiserne Ringe, die zwischen dem Schützen und seinem Ziel hingen. Die letzte Zielscheibe bestand aus acht langen Weidenruten, die aufrecht im Boden staken.
    »Was ist all das?« flüsterte Seregil, als der Bogenmacher ging und die Weidenruten zurechtrückte.
    »Ich habe gehört, daß sie einen schwarzen Bogen nur an einen Schützen verkaufen, der alle drei Ziele treffen kann«, flüsterte Alec und zog sich einen ledernen Schutz über den linken Unterarm.
    Radly kehrte zurück und reichte ihm einen Köcher mit Pfeilen. »Nun denn, laßt uns sehen, wie Ihr schießt.«
    Sorgfältig wählte Alec den ersten Pfeil und sandte ihn geradewegs in die Mitte des ersten Kreises. Mit dem zweiten Pfeil wiederholte er den guten Schuß und nahm dabei etwas vom gefiederten Ende des ersten Pfeiles mit.
    Beim nächsten Ziel schlug der Pfeil gegen einen der Ringe und kam nicht an. Alec blickte zum klaren, blauen Himmel und holte tief Luft, um die nötige innere Ruhe zu erhalten. Der nächste Schuß gelang, und er wiederholte ihn, um Gewißheit zu haben. Mit dem anderen Bogen vollbrachte er drei saubere Schüsse in rascher Folge.
    Es war ein guter Tag zum