Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
Bogenschießen, sagte er sich selbst und verfiel in fast übernatürliche Entspannung und Wohlbefinden, das ihn bei solchen Gelegenheiten überkam. Er wandte sich dem letzten Ziel zu und ließ vier Pfeile rasch hintereinander fliegen. Ein jeder traf eine Rute und kürzte sie auf derselben Höhe wie die anderen.
Hinter ihm ließ Seregil vor Bewunderung einen leisen Pfiff vernehmen, aber Alec nahm seinen Blick nicht von den Zielen.
Er wechselte den Bogen und kürzte die verbleibenden Ruten auf verschiedene Höhen. Als er den Bogen senkte, wurde ihm lauter Applaus zuteil, und als er sich umwandte, sah er Seregil und Radly und einige der Lehrburschen hinter sich stehen, die ihm lächelnd Bewunderung zollten.
Errötend murmelte er: »Ich denke, ich nehme diesen hier.«
Seregils künstlerische Darbietung am Brunnen war ein voller Erfolg; er kehrte mit der Neuigkeit zurück, daß sie am Abend beim Bankett des Bürgermeisters für Unterhaltung zu sorgen hätten. Gleich nachdem er sich beim Wirt entschuldigt hatte, schleppte er Alec in das nächstgelegene Badehaus, dann zurück ins Zimmer, um dort Alecs Äußerem den letzten Schliff zu verleihen.
»Du siehst darin besser aus als ich«, bemerkte Seregil, als er Alecs Schärpe zurechtrückte.
Alec trug ›Arens‹ zweitbestes Kostüm; ein langes Hemd aus feiner, blauer Wolle mit bestickten Bändern am Kragen und an den Ärmeln. Eines der Küchenmädchen war dafür bezahlt worden, seine Stiefel so sauber zu putzen, daß sie glänzten.
Seregil selbst trug ein strahlend rotes Hemd, das am Hals, am Kragen und an den Ärmeln ein verschlungenes Muster in Schwarz und Weiß trug. Sein Haar hatte er mit einem dünnen, rotschwarzen Band zu einem kunstvollen Knoten im Nacken gebunden. Er ordnete die Falten seines neuen mitternachtsfarbenen Umhangs elegant über eine Schulter und steckte sie mit einer schweren silbernen Fibel fest.
»Als ich mit dem Büttel des Bürgermeisters wegen unseres Lohns verhandelte, hatte ich Gelegenheit, ihn über die Gäste auszufragen«, berichtete Seregil. »Lord Boraneus, vorgeblich ein Handelsattaché, führt die plenimaranische Delegation an. Es gibt auch noch einen weiteren Adligen, Lord Trygonis, der auch einigen Einfluß zu haben scheint, sich jedoch eher bedeckt hält. Ich wechselte auch ein paar liebevolle Worte mit den Hausmädchen und erfuhr, daß die beiden Herren die besten Räume an der Vorderseite des Hauses bewohnen. Neben der üblichen Ehrenwache während des Banketts werden gewiß unzählige Soldaten draußen verteilt stehen. Bist du dir nun absolut sicher darüber, was wir heute abend zu tun haben?«
Alec versuchte gerade mit mäßigem Erfolg, seinen Mantel in denselben Falten fließen zu lassen wie Seregil den seinen. »Wir singen, bis alle mehr als genug Wein getrunken haben. Du machst dann eine Pause, um die Harfe zu stimmen und dabei reißt dir eine Saite. Dann schickst du mich nach Hause, um eine neue zu holen, und du gehst hinaus, um etwas Luft zu schnappen. Auf der Rückseite des Hauses ist eine kleine Treppe für die Dienerschaft, auf der wir in das zweite Obergeschoß gelangen. Ich treffe dich dort, und wir gehen gemeinsam hinauf.«
»Hast du die neue Saite bei dir?«
»In meiner Hemdtasche.«
»Gut.« Seregil nahm die Tasche vom Bett und holte etwas heraus, das in ein Stück Sackleinen gewickelt war. Er wickelte es aus und zeigte Alec einen ansehnlichen Dolch. Der Griff war aus schwarzem Horn geformt und mit silbernen Einlegearbeiten verziert. Die schlanke Klinge war tödlich scharf.
»Der ist für dich«, sagte Seregil, der den Dolch einen Augenblick auf seiner Handfläche balancierte. »Er fiel mir auf, während Maklin sich mit dir beschäftigte. Er ist länger als dein anderer und besser ausgewogen. Vielleicht ein wenig zu kunstvoll verziert für einen Schüler, aber es wird ihn ohnehin niemand sehen, denn du trägst ihn im Stiefel. Wenn wir unsere Arbeit heute nacht gut machen, wirst du ihn auch nicht gebrauchen müssen.«
»Seregil, ich kann nicht …«, stotterte der Junge überwältigt. »Ich kann das alles nie zurückzahlen, und …«
»Was willst du denn zurückzahlen?« fragte Seregil überrascht.
»Ja, all das hier!« rief Alec aus und machte eine ausholende Geste, die den ganzen Raum einschloß. »Die Kleider, das Schwert, den Bogen – ich habe in meinem ganzen Leben nicht genug Geld verdient, um all das zu bezahlen. Der Schöpfer sei gnädig, ich kenne dich noch keine ganze Woche und …«
»Sei
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