Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
etwas über ihn weiß. Ich wollte ihn über seine Heimat fragen, seine Familie und all das, aber dann lächelt er und wechselt das Thema. Das kann er wirklich gut.«
Micum schmunzelte wissend.
»Nun«, fuhr Alec fort. »Er scheint zu glauben, er kann mich zu dem machen, was er selbst ist, aber das macht mich manchmal nervös. Ich weiß nicht genug über ihn, daß ich mir vorstellen könnte, was er von mir erwartet. Du bist sein Freund und kennst ihn, und ich erwarte nicht, daß du sein Vertrauen mißbrauchst, aber gibt es nicht etwas, das du mir über ihn erzählen könntest?«
»Oh, ich denke schon.« Micum prüfte die Schwertscheide mit dem Daumennagel. »Wir lernten uns vor Jahren in der Nähe des Goldaderflusses kennen. Wir verstanden uns gut, und als er südwärts nach Rhíminee reiste, begleitete ich ihn.
Er hat dort einen alten Freund, Nysander, und von ihm erfuhr ich das meiste, was ich heute von unserem verschlossenen Freund weiß. Woher er stammt und warum er dort fortging, soll er dir selbst erzählen. Ich weiß nicht viel darüber, außer, daß edles Blut in seinen Adern fließt und er dadurch wohl in Verbindung zum skalanischen Hof steht. Er war wenig älter als du jetzt, als er nach Skala kam, aber er hatte schon viel erlebt. Nysander ist ein Magier, und er nahm Seregil als Schüler zu sich. Das ging wohl nicht lange gut, denn Seregil ist kein Zauberer, trotz seiner Begabung, Tiere zu beeinflussen. Trotzdem sind er und Nysander Freunde geblieben. Du wirst ihn kennenlernen, wenn du nach Skala kommst. Nysander ist immer der erste, den Seregil besucht, wenn er von einer Tour zurückkehrt.«
»Ein Magier! Wie ist er?«
»Nysander? Er ist eine gute Seele, und er hat ein großes Herz. Viele der anderen Magier legen Wert darauf, nur ihre Macht zu demonstrieren, aber der alte Nysander braucht nur ein Gläschen oder zwei zu trinken, dann läßt er grüne Einhörner erscheinen oder die Messer mit den Löffeln tanzen, und das, obwohl er einer der Alten ist.«
»Der Alten?«
»Magier leben so lange wie die Aurënfaie, und Nysander gibt es schon eine ganze Weile. Er wird so um die dreihundert Jahre alt sein. Er kannte Königin Idrilains Großmutter, und Idrilain ist nun selbst Großmutter. Er schätzt sie sehr, ist oft bei ihr zu Gast und fehlt auf keinem der Bankette.«
»Seregil sagte, es gäbe viele Magier in Rhíminee.«
»Dort gibt es ein ganzes Haus voll, es wird das Orëska-Haus genannt – es ist wohl mehr eine Burg als ein Haus. Wie ich schon sagte, sind einige von ihnen sehr von sich eingenommen, und sie halten ihn für einen tatterigen alten Narren, und manche machen einen Bogen um ihn. Aber warte nur, bis du ihn selbst triffst, dann kannst du dir ein eigenes Bild machen. Und sorge dich nicht um Seregil. Er gehört nicht zu den vertrauensseligen Zeitgenossen, und wenn er dich als Gefährten gewählt hat, kannst du davon ausgehen, daß er mit dir zufrieden ist – welche Gründe er auch immer haben mag. Eines kann ich dir mit Gewißheit sagen, für einen Freund würde er sein Leben geben, und er läßt keinen Kameraden im Stich. Niemals. Er mag dir anderes erzählen – und wenn du erst einmal siehst, wie er in Rhíminee lebt, wirst du dir deine eigenen Gedanken machen, aber er ist zuverlässig wie die Sonne, die jeden Tag scheint. Was er nicht vergeben kann, ist Verrat – vergiß das nicht. Vor langer Zeit, ehe er nach Skala kam, muß ihn jemand verraten haben, und das prägte ihn wohl. Er würde jeden töten, der ihn verrät.«
Alec dachte eine Weile darüber nach, dann fragte er: »Wie ist Rhíminee?«
»Es ist die schönste Stadt der Welt und durch und durch verdorben – dort regiert die Intrige. Es gibt mehr Mitglieder der königlichen Familie als Blätter an einem Baum, und alle sind stets damit beschäftigt, gegeneinander Ränke zu schmieden, um einen besseren Platz an der Sonne zu erhalten. Ich spreche von politischen Komplotten, alten Fehden, heimlichen Liebschaften und wer weiß was sonst noch. Und muß irgendein Dokument gestohlen oder unter dem Mantel der Nacht eine Liebesgabe überbracht werden, so beauftragt man nicht selten unseren Freund Seregil mit dieser Aufgabe. Die Auftraggeber treffen ihn nie persönlich, aber wenn man seiner bedarf, weiß man ihn auch zu finden. Man fragt nach der ›Katze von Rhíminee‹. Er ist das am besten und am schlechtesten gehütete Geheimnis der Stadt.«
»Es ist so schwer, sich das alles vorzustellen.« Alec schüttelte wehmütig den Kopf.
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