Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
»Er glaubt, daß auch ich das alles tun könnte?«
»Ich sagte dir schon, wenn er sich dessen nicht sicher wäre, hätte er dich nicht mitgenommen. Ich wette, er sieht etwas in dir, was dir und mir verborgen ist. Oh, er hätte dich auf jeden Fall gerettet, aber es muß einen bestimmten Grund haben, daß er dich mit sich nahm.«
Micum sah ihm in die Augen und blinzelte. »Nun hast du ein Geheimnis zu lösen, und ich bezweifle, daß dir Seregil weiterhelfen wird. Mach dir in der Zwischenzeit keine Gedanken darüber, wie du ihn zufriedenstellen kannst. Halt die Augen offen, und tu, was er sagt.«
Seregil kam zurück, warf das Tuch beiseite und streckte sich auf dem Bett aus, um seinen Rücken zu entlasten. Micum und Alec sahen ihn erwartungsvoll an.
»Auf Aren Windover ist ein Kopfgeld ausgesetzt, und auch auf deinen Kopf, Alec«, berichtete er. »Es wird auch ein unbekannter dritter Mann erwähnt. Ich vermute, diese Information stammt von dem Gauner, der uns auf der Straße entkam.«
»Fang nicht wieder damit an«, warnte Micum. »Wer setzte die Belohnung aus? Der Bürgermeister von Wolde?«
»Vermutlich. Die Nachricht kam gestern mit einer Brieftaube, und es wird behauptet, wir hätten die Zunftkasse gestohlen oder irgend etwas anderes Unsinniges.«
»Wieviel ist ihnen Aren denn diesmal wert?«
»Zwanzig Silbermark.«
»Bei Bilairys Pforte!« Micum sog tief Luft ein. »Wo bist du denn bloß hineingeraten?«
»Ich habe keine Ahnung.« Seregil fuhr sich erschöpft mit der Hand durchs Haar. »Wo ist mein Beutel?«
Alec warf ihn ihm zu. Seregil nahm die hölzerne Scheibe heraus und betrachtete sie stirnrunzelnd. »Das ist alles, was wir mitnahmen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum deshalb soviel Wirbel gemacht wird, aber wir sollten dieses Ding lieber nicht aus den Augen lassen.«
Er nahm ein Stück Lederband und steckte ein Ende durch das quadratische Loch in der Holzscheibe, dann betrachtete er sie noch einmal und legte sich das Band um den Hals. »Wenn das Ding so wichtig für sie ist, bin ich um so entschlossener, es nach Skala zu bringen.«
»Wieviel ist denn auf meinen Kopf ausgesetzt?« fragte Alec. »Ich bin zum ersten Mal Gesetzloser.«
»Auch zwanzig Mark. Das ist in deinem zarten Alter eine reife Leistung. Für Micum bieten sie nur die Hälfte.«
»Bist du sicher, daß mein Name nicht erwähnt wurde?« fragte Micum.
»Von dir scheinen sie nichts zu wissen.«
»Ich komme und gehe hier ohnehin, wie es mir gefällt, also werde ich wohl auch nicht vermißt werden. Sind wir hier in Gefahr?«
»Das denke ich nicht. Wären Agenten in Boersby, müßten sie nicht auf die Einheimischen zurückgreifen. Es schien mir, als hätten sie die Botschaft nicht nur hierher gesandt. Gewiß weiß man auch in Stook, Ballton, Ösk und Sark von uns. Wer immer sie sind, sie haben unsere Spur verloren und sind nicht besonders erfreut darüber. Trotzdem sollten wir sehr vorsichtig sein.«
»Sie suchen nach zwei Männern und einem Jungen, daher schlage ich vor, uns zu trennen. Ich denke, ich werde auf Umwegen zurückgehen. Außerdem möchte ich mir den markierten Ort in den Schwarzwassersümpfen ansehen. Ich werde mich noch vor Sonnenaufgang auf den Weg machen.«
»Fühlst du dich auch wohl genug?«
»Ich habe es nicht eilig.«
»Nimm unsere Pferde mit, und laß uns so bald wie möglich eine Nachricht zukommen. Ich habe für mich und Alec bereits eine Passage nach Nanta gebucht. Wenn du uns suchen solltest, wir werden an Bord der Pfeil sein. Sie hat einen schwarzen Rumpf und einen roten Bug. Frag nach Lady Gwethelyn von Cador Ford.«
»Lady Gwethelyn?« Micum grinste. »Ich habe lange nichts mehr von der Dame gehört. Du wirst bevorzugt behandelt, Alec, mein Junge!«
8
Der Kapitän und die Lady
»Das ist ein hübsches Mädel, auch wenn sie nicht mehr die Jüngste ist, was meint Ihr, Kapitän Rhal?« bemerkte der Steuermann.
Das Dreiecksegel der Pfeil blähte sich im steifen Wind, und Rhal trat näher an die Brüstung, um einen besseren Blick auf seinen Passagier auf dem Vorderdeck zu haben.
Der Kapitän, ein stämmiger, dunkelhaariger Mann in mittleren Jahren, war trotz der schon lichter werdenden Haare eine stattliche Erscheinung – auf eine verwegene Art, was einige Damen in etlichen Häfen zu schätzen wußten.
»Ja, das ist sie. Ich hatte schon immer etwas übrig für schlanke Mädchen.« Genaugenommen meinte er damit jedes weibliche Wesen, das älter als vierzehn war. Die Dame, um
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