Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
Matrose, kaum älter als er selbst, brachte das Langboot längsseits. Alec wußte nicht viel über Preßpatrouillen, aber so hatte er sie sich ohnehin nicht vorgestellt.
»Bist du der Neue für die Schwertwal?« fragte der Junge, zog die Ruder ein und grinste keck. »Ich bin Binakel, die meisten nennen mich Biny. Komm, wenn du nicht die Nacht auf dem Kai verbringen willst. Beim Alten Seemann, es ist eiskalt heute nacht!«
Alec war kaum auf die vordere Bank geklettert, als Biny auch schon wieder ablegte. Er redete ununterbrochen, während er ruderte, er schien weder eine Aufforderung nötig zu haben noch eine Atempause. Er hatte die Angewohnheit, von einem Thema zum anderen zu springen, wie es ihm gerade einfiel. Vieles, das er erzählte, erschien Alec profan, aber es gelang ihm, genug herauszuhören, um beruhigt an Bord der Schwertwal anzukommen. Kapitän Talrien war, Binys Worten zufolge, ein guter Herr, sein höchstes Lob war zweifelsohne die Tatsache, daß sein Kapitän seines Wissens noch nie einen Mann hatte auspeitschen lassen.
Die Schwertwal war ein Küstenfrachtschiff. Ihre hohen Masten trugen drei Dreiecksegel, und sie konnte zwanzig Ruderer auf jeder Seite einsetzen. Sie verkehrte regelmäßig zwischen den Hafenstädten Skalas und Mycenas.
An Deck war die Mannschaft fieberhaft mit Vorbereitungen für das Auslaufen beschäftigt. Alec hatte gehofft, noch einmal die Gelegenheit zu bekommen, mit Talrien zu reden, aber er konnte ihn nicht finden.
»Dein Freund ist dort unten«, sagte Biny und führte ihn hinunter.
Seregil lag schlafend auf einem Lager zwischen Wollballen. Im Licht von Binys Laterne sah Alec noch mehr Wollballen und Getreidesäcke im Frachtraum.
»Paß auf mit dem Feuer«, riet Biny, als er sich verabschiedete. »Ein Funke kann genügen, um die Ladung in Brand zu setzen! Häng die Lampe an den Haken, hier über deinem Kopf. Wenn wir in rauhe See kommen, mußt du sie löschen.«
»Ich werde vorsichtig sein«, versprach Alec, der bereits nach neuem Verbandleinen für Seregil suchte. Der Verband mußte dringend erneuert werden.
»Der Käpten hat euch Essen und einen Eimer Wasser bringen lassen. Dort um die Ecke findest du es«, Biny zeigte ihm die Richtung. »Du solltest morgen mit dem alten Sedrish reden, er ist ein guter Koch, weiß aber auch viel von Heilkunde. Nun, gute Nacht!«
»Gute Nacht. Richte dem Kapitän meinen Dank aus.«
Der Verband hatte sich in Seregils Wunde gesaugt, und Alec mußte ihn vorsichtig lösen. Als er das durchgeweichte Verbandstück abhob, mußte er feststellen, daß die Wunde noch schlimmer aussah als zuvor. Die Salbe der alten Bäuerin schien keine Wirkung zu zeigen, aber Alec trug sie trotzdem auf, den er wußte nicht, was er sonst tun sollte.
Seregils schlanker Körper war ausgemergelt. Er fühlte sich unter Alecs Berührung zerbrechlich an, als er ihn anhob um den frischen Verband anzulegen. Auch sein Atem ging flacher, und manchmal schüttelte ihn ein Hustenanfall.
Alec legte Seregil wieder zwischen die Heuballen und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Dabei betrachtete er die eingefallenen Wangen und Schläfen und das bleiche Gesicht. In wenigen Tagen würden sie in Rhíminee und bei Nysander sein, wenn Seregil nur so lange durchhalten würde.
Alec wärmte den Rest der Milch über der Lampe und ließ dabei Seregils Kopf auf seinen Oberschenkeln ruhen. Er versuchte, ihn mit dem Löffel zu füttern, aber Seregil hustete schwach und spuckte alles wieder aus.
Schweren Herzens stellte Alec die Tasse beiseite und streckte sich neben Seregil aus. Er wischte die Wange seines Freundes mit seinem Umhang ab, ehe er sich und ihn damit zudeckte.
»Zumindest sind wir an Bord«, flüsterte er traurig, während er Seregils unruhigem Atmen lauschte. Dann fiel er erschöpft in einen traumlosen Schlaf.
… eine steinige Ebene unter tiefem, bleiernem Himmel erstreckte sich zu beiden Seiten. Seregils Füße standen auf totem Gras. Hörte er in der Ferne das Meer? Er spürte die Brise nicht, die das leise Rauschen verursachen konnte. Blitze zuckten in der Ferne, aber kein Donner folgte. Die Wolken rasten vorüber.
Er fühlte seinen Körper nicht, wohl aber, was ihn umgab.
Ihm schien sein ganzes Dasein auf die Essenz des Sehens beschränkt. Trotzdem konnte er sich bewegen, sich auf der grauen Ebene umsehen, die vorübertreibende, graue Wolkenmasse ließ keinen Blick auf den blauen Himmel dahinter zu. Er konnte noch immer das Meer hören, wußte aber nicht,
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