Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
der Gründe, warum sie dort sind.«
»Sind sie magisch?« Trotz seines großen Hungers fand Alec es nicht leicht, die Augen von den gemalten Szenen zu nehmen.
Nysander hob amüsiert eine buschige Braue. »Vergib mir, aber es ist erfrischend, jemandem zu begegnen, der so unbefangen ist wie du. So viele kommen hierher und erwarten Enthüllungen mystischer Dinge – Drachen unter dem Tisch, Geisterwesen, aus dem Kamin beschworen! Sie staunen nicht mehr über die kleinen Wunder. Ihr Staunen ist zum Appetit geworden.
Um allerdings deine Frage zu beantworten, die Wandgemälde sind tatsächlich magisch. Sie erfüllen nicht nur den Zweck, meine Gäste zu bezaubern, sie beschützen auch diesen Raum. Die Symbole, die du dort siehst, reagieren jedes auf eine andere Form von Eindringlingen. Du wirst sie im gesamten Orëska-Haus finden. Vielleicht hast du jene oben in der Kuppel schon entdeckt? Das gesamte Gebäude ist durch ein kunstvolles Gewebe magischer Verquickungen beschützt. Aber ich halte dich vom Essen ab! Laß uns von kleinen Dingen plaudern, während wir essen. Wenn wir nach dem Mahl unseren Wein trinken, werden wir uns auf angemessene Weise unterhalten.«
Angedenk seiner ersten Erfahrung mit feurigen Gewürzen, probierte Alec das Essen mit Vorsicht, aber jedes der Gerichte war noch delikater als das zuvor.
»Seregil sagte mir, daß Zauberer nach Rhíminee kommen, um sich hier ausbilden zu lassen«, meinte Alec schließlich.
»Zauberer, Gelehrte, Verrückte! Sie kommen, um das Wissen zu suchen, das hier zusammengetragen wurde und nun durch das Dritte Orëska bewahrt wird. Hier gibt es mehr als nur Magie. Wir sammeln Informationen aller Art. Unsere Bibliothek ist die beste in den Drei Ländern, und in den Gewölben findest du Artefakte, die älter sind als die Hierophanten.«
Alec legte sein Messer beiseite. »Warum nennt man es das Dritte Orëska?«
»Die ersten Magier, die aus Aurënen hierherkamen, waren die ursprünglichen Orëska«, erklärte Nysander. »Sie lehrten, daß Wissen ebenso mächtig sei wie jede Magie, und daß Magie ohne Wissen nicht nur nutzlos, sondern äußerst gefährlich ist. Später riefen sie das Zweite Orëska ins Leben in Ero, als Kinder, die aus der Verbindung zwischen Aurënfaie und Menschen hervorgingen, magische Fähigkeiten entwickelten. Unglücklicherweise wurde die Brüderschaft des Zweiten Orëska während des Großen Krieges ausgelöscht. Seit dieser Zeit gibt es bei weitem nicht mehr so viele Zauberer. Ein weiterer Schlag war die Zerstörung Eros. Eine schreckliche Tragödie! So viele der alten Dinge waren für immer verloren. Königin Tamír hinterließ bei der Gründung von Rhíminee die Stätte den überlebenden Magiern, wohl wissend, daß sie zur Verteidigung Skalas ihren Teil beitragen würden. Die neue Allianz, die damals gegründet wurde, war das Dritte Orëska. Der Cirna-Kanal ist ein erster Beweis ihrer guten Absichten.«
»Davon hörte ich. Wie viele Zauberer gibt es jetzt?«
»Nur noch wenige Hunderte leben in den Drei Ländern, fürchte ich. Weniger und weniger Kinder werden mit der Gabe geboren; das Blut der Aurënfaie-Meister ist dünn geworden.«
»Aber erben denn die Kinder der Zauberer nicht auch deren Kräfte?«
Nysander schüttelte den Kopf. »Es gibt keine solchen Kinder. Das ist vermutlich der größte Preis für unsere Gabe. Magisches Können fordert alle kreative Kraft, derer wir fähig sind. Wir werden reichlich entschädigt durch Macht und langes Leben, aber Illiors Kraft, die uns die Fähigkeit verleiht, die Welt um uns zu erneuern, läßt auch die natürliche Gabe der Fortpflanzung verglühen. Der Unsterbliche hat nie erklärt, warum das so sein muß, auch nicht den Aurënfaie … Aber ich halte dir Vorträge, als wärest du ein Novize! Laß uns zurück in euer Zimmer gehen. Seregil ruht noch tief in sich selbst, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Trotzdem wird es ihm guttun, uns um sich zu haben.«
Nysander nahm zwei große goldene Pokale von einem Regal und gab sie Alec. Der Junge betrachtete sie bewundernd von allen Seiten. Sie waren aus lupenreinem Bergkristall geschnitten und mit reich verziertem Goldblech und roten Juwelen geschmückt, die im Licht wie Wein funkelten.
»Ich nehme lieber den Becher, den ich schon beim Abendessen hatte«, warf Alec ein, der die Kunstwerke vorsichtig in den Händen hielt.
»Unsinn!« Nysander nahm eine Karaffe aus einem Regal und machte sich auf den Weg zu Seregils Zimmer. »Ich habe beinahe
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