Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
beunruhigte Alec weniger als das diskrete Grinsen Theros; Nysanders Assistent wurde ihm immer unsympathischer.
»Was es auch ist, es rettete ihm das Leben«, sagte Nysander. »Und Alecs ebenso, wenn man sich vor Augen hält, was er von Seregils Verhalten berichtete. Hätte er beschlossen, dich zu töten, mein lieber Junge, wäre das dein Ende gewesen.«
Alec entsann sich des Gesichtsausdrucks Seregils in der Scheune und wußte, daß Nysander die Wahrheit sprach.
»Er wird ein oder zwei Tage schlafen«, sagte Valerius. »Im Bett bleiben sollte er eine Woche lang; wie ich ihn kenne, werden auch fünf Tage genügen müssen. Aber es dürfen nicht weniger sein. Wenn nötig, dann bindet ihn fest. Ich lasse einige Kräuter hier, aus denen ihr Tee bereiten könnt. Schüttet davon soviel ihr könnt seinen Schlund hinunter, und vergewissert euch, daß er ißt. Sonst soll er nichts trinken als Wasser – viel davon. Ich will, daß er völlig gereinigt ist, ehe wir ihn wieder laufenlassen. Danke für den Wein, Nysander.«
Er stand auf und schwang sich den Beutel über die Schulter. »Die Kraft des Schöpfers sei mit euch.«
Alec sah ihm nach, wie er mit großen Schritten den Raum verließ, dann wandte er sich an Nysander. »Er kennt Seregil, nicht wahr? Sind sie befreundet?«
Nysander lächelte trocken und dachte über die Frage nach. »Ich kann mich nicht entsinnen, daß einer der beiden den anderen je ›Freund‹ genannt hätte. Trotzdem nehme ich an, daß es so ist, auf ihre eigene, seltsame Art. Aber ich vermute, du wirst während der kommenden Tage Gelegenheit haben, dir deine eigene Meinung zu bilden.«
16
Ein Mahl mit Nysander
Obwohl er erschöpft war von der Zeremonie, bestand Alec darauf, gemeinsam mit Wethis Seregil die Treppen hinunter in Nysanders Wohngemächer zu tragen. Ein kurzer Flur führte um eine Biegung, vorbei an einigen geschlossenen Türen und zu einem komfortablen Schlafgemach nahe dem Ende des Ganges.
Die Einrichtung war einfach. Zwei schmale Betten flankierten ein schießschartenförmiges Fenster an der Schmalseite des Raumes. Dicke farbenprächtige Teppiche bedeckten den Boden, und im Kamin nahe der Tür brannte ein Feuer.
Sie legten den Ohnmächtigen in das Bett zur Rechten des Fensters.
Nysander beugte sich über ihn und nahm Seregils Hände zwischen die seinen.
»Er wird doch wirklich wieder gesund, nicht wahr?« fragte Alec, der den Gesichtsausdruck des alten Zauberers nicht deuten konnte. »Ich meine, so wie zuvor?«
Nysander tätschelte noch einmal Seregils Hand und legte sie dann sanft auf die Brust des Schlafenden. »Das glaube ich. Er ist stark, auf eine besondere Weise, die er selbst nicht genau kennt. Aber du solltest jetzt auch schlafen. Ich werde nach dir schicken. Wenn du geruht hast, dann kannst du alles, was du wissen möchtest, mit mir besprechen. Wenn du mich brauchst, findest du mich im Zimmer gegenüber des Ganges oder oben.«
Als er fort war, zog sich Alec einen Stuhl an Seregils Bett.
Es tat gut zu sehen, wie ruhig er schlief. Sein hageres Gesicht wirkte nun nicht mehr so leer, und in seine eingefallenen Wangen war etwas Farbe zurückgekehrt.
Ich werde ein paar Minuten hier sitzen bleiben, dachte Alec und stützte die Füße gegen die Bettkante.
Fast augenblicklich schlief er ein.
»Alec…«
Alec fuhr hoch und sah sich erschrocken um. Er hatte geträumt, an Bord der Schwertwal zu sein, und es dauerte einige Augenblicke, bis er sich erinnerte, wo er sich tatsächlich befand. Jemand hatte ihm ein Nachtlicht gebracht, und in dem sanften Licht sah er, daß Seregil ihn aus halb geöffneten Lidern ansah.
»Rhíminee?« Es war kaum ein Flüstern.
»Ich sagte dir doch, daß ich dich hierherbringe«, erwiderte Alec und versuchte, es beiläufig klingen zu lassen, während er den Stuhl näher zog.
Seregils Blick wanderte schläfrig über den Raum, und Alec sah die Ahnung eines Lächelns um die blassen Lippen spielen. »Mein altes Zimmer …«
Alec dachte, sein Freund wäre wieder eingeschlafen, aber nach einer kurzen Weile bewegte er sich wieder. »Erzähl mir.«
Er lauschte ruhig und bewegte sich nur, als er einen Blick auf Alecs vernarbte Hand warf, und noch einmal, als Alec Valerius erwähnte.
»Er!« krächzte Seregil. Er wollte noch mehr sagen, schüttelte dann aber schwach den Kopf. »Erzähl mir das später. Was hältst du von Nysander?«
»Ich mag ihn. Er ist jemand, dem man sofort vertrauen kann, ebenso wie Micum.«
»Vertraue ihm immer,
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