Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
euch sofort Bescheid.«
Der Zauberer schlang eine Hand durch Alecs Arm und zog den Jungen aus der Zelle. Seregil aber verharrte mit zornigem Blick neben dem Leichnam.
»Du gerissener Hundesohn«, flüsterte er dem Toten zu, gerade so laut, daß Nysander es hörte. »Du warst besser, als ich dachte.«
28
Der Hauch einer Prophezeiung
»Vater! Vater, wo bist du?«
Mit einer Handvoll von Valerius’ magischen Kräutern in der Faust stürzt Alec den kahlen Korridor entlang. Es gibt keine Türen, keine Fenster, nur endlose Steinwände; Ecke um Ecke läßt er hinter sich, während er den dunklen Blutspuren auf dem Boden und dem angestrengten Keuchen seines Vaters folgt. Doch so schnell Alec auch rennt, er kann ihn nicht einholen.
»Vater, warte«, fleht er, halb blind vor Tränen der Verzweiflung. »Ich habe einen Drysier gefunden. Laß mich dir helfen. Warum läufst du davon?«
Das heisere Schnaufen verändert sich, als sein Vater zu sprechen versucht; dann setzt Grabesstille ein.
In der grauenhaften, beklemmenden Lautlosigkeit hört Alec ein neues und unheilverkündendes Geräusch – das Geräusch leiser Schritte, die hinter ihm in Gleichklang mit den seinen ertönen. Bleibt er stehen, verstummen sie; geht er weiter, tun sie es ihm gleich.
»Vater?« flüstert er und hält abermals inne.
Diesmal hallen die Schritte weiter, und urplötzlich übermannt ihn Todesangst. Über die Schulter sieht er nur einen leeren Gang, der sich hinter ihm erstreckt, bis ihm eine weitere Biegung die Sicht abschneidet. Und immer noch tönen die Schritte, immer näher, immer lauter.
Die Muskeln zwischen Alecs Schulterblättern verkrampfen sich, als er die Flucht ergreift, von der schwarzen Gewißheit erfüllt, daß ihn jeden Augenblick jemand von hinten packen wird. Das Geräusch seines Verfolgers kommt näher, immer näher.
Unbeholfen zerrt Alec das Schwert aus der Scheide und wirbelt herum, zum Kampf bereit. Doch er stellt fest, daß er statt des Schwertes einen stumpfen Pfeilschaft in der Hand hält.
Und sich einer Mauer der Dunkelheit gegenübersieht.
Mühevoll richtete sich Alec im Bett auf und zog zitternd die Knie an die Brust. Sein Nachthemd war durchtränkt von kaltem Schweiß, seine Wangen präsentierten sich feucht von Tränen. Draußen war ein Sturm aufgekommen. Einsam heulte der Wind durch den Kamin und wirbelte den Regen gegen die Fensterscheiben.
Die Brust des Jungen schmerzte, als wäre er tatsächlich gerannt.
Er holte ein paarmal tief Luft, um sich zu beruhigen, konzentrierte sich auf den roten Schimmer des Kamins und versuchte, die schauderhaften Bilder des Alptraums zu vertreiben. Sein Herzschlag hatte sich fast wieder eingependelt, als er auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers eine Diele knarren hörte.
»Das ist schon das dritte Mal diese Woche, nicht wahr?« fragte Seregil und trat in den Schein des Feuers. Sein Umhang wirkte völlig durchnäßt, aus dem zerzausten Haar troff Wasser.
»Verdammt, hast du mich erschreckt!« keuchte Alec und wischte sich hastig die Augen mit einem Deckenzipfel ab. »Ich hätte nicht erwartet, daß du heute nacht noch zurückkommst.«
Fast eine Woche war seit Rythels Tod vergangen und keinem von ihnen, nicht einmal Nysander, war es gelungen, Beweise zu finden, die den Schmied mit etwas anderem als der Sabotage der Kloake und ein paar Betrügereien in verschiedenen Spielhäusern in Zusammenhang brachten. Mittlerweile hatten alle aufgegeben, alle mit Ausnahme Seregils, der mit jeder falschen Fährte, der er nachging, zunehmen launischer wurde. In letzter Zeit fand Alec es ratsamer, ihm aus dem Weg zu gehen, wenn sie nicht gerade arbeiteten. Er hatte einen Hoffnungsschimmer darin gesehen, daß Seregil heute abend zur Lichterstraße davonschlurfte, um dort Trost zu suchen; seine frühzeitige Rückkehr jedoch verhieß nichts Gutes.
Aber Alec erkannte in den Zügen seines Freundes nur aufrichtige Besorgnis, als dieser zwei Becher und eine Karaffe zengatischen Branntwein vom Kaminsims holte. Dann ließ sich Seregil am Fußende von Alecs Bett nieder und schenkte für sie beide einen großzügigen Schluck ein.
»Wieder schlecht geträumt, was?« erkundigte er sich.
»Du weißt davon?«
»Schon die ganze Woche wirfst du dich im Schlaf hin und her. Trink. Du bist bleich wie ein alter Knochen.«
Der Branntwein wärmte zwar Alecs Magen, doch das Nachthemd fühlte sich klamm auf dem Rücken an. Er zog sich eine Decke um die Schultern, verfiel in Schweigen und
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