Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
das donnernde Hufgeklapper der herannahenden Kolonne deutlich zu vernehmen.
Beka sprang aufs Pferd, galoppierte auf einen Karren zu und riß den erstbesten Sack von der Ladefläche, den sie zu fassen bekam.
Ein Pfeil schwirrte über ihren Kopf hinweg, als sie den Sack über den Sattelknauf wuchtete. Ein weiterer Schaft schlug mit dumpfem Pochen an der Seite des Karrens ein.
Hektisch wendete Beka das Pferd und preschte die Straße nach Osten hinunter, als auch schon die ersten plenimaranischen Reiter aus dem sich lichtenden Nebel hervorbrachen.
In der Hoffnung, das Feuer in der Station würde zumindest ein paar der Feinde aufhalten, führte Beka ihre Reiter noch tiefer in plenimaranisches Gebiet hinein.
38
Die Grüne Lady
Es ist still und dunkel unter Wasser. Seregil kann die silbrig funkelnde Oberfläche über sich wabern sehen, während er verzweifelt strampelt, doch etwas in der Tiefe unter ihm hat seinen Knöchel gepackt und hält ihn zurück.
Eine große, dunkle Gestalt thront über ihm, verzerrt durch die Brechung der Wasseroberfläche. Sie sieht Seregil hilflos unter sich treiben und winkt ihm zu.
Mit einem letzten, verzweifelten Tritt gelingt es Seregil, das Gesicht kurz über Wasser zu bekommen, um die berstenden Lungen mit Luft zu füllen. Dabei schaut er in das Gesicht des Mannes über ihm. Die Lippen bewegen sich, als er Seregil sagt, was zu tun ist.
Er versteht die Worte nicht, dennoch erfüllen sie ihn mit so blankem Entsetzen, daß er aufschreit und ihm Wasser in den Mund dringt, als ihn die unsichtbare Kraft unter sich wieder hinabzerrt …
»Seregil! Seregil, verdammt noch mal, wach auf!«
Seregil rang nach Luft und erkannte allmählich Micums müdes, sommersprossiges Gesicht, das Schiff, das offene Meer rings um sie.
Das Schiff. Das offene Meer.
»O Scheiße, nicht schon wieder«, stöhnte Seregil und preßte die Finger auf die pochenden Schläfen. Über die breite Schulter seines Freundes hinweg erblickte er ein paar Matrosen, die sich in der Nähe versammelt hatten und die Hälse reckten, um einen Blick auf ihn zu erhaschen.
»Habe ich …«
Micum nickte. »Diesmal hat man dich bis nach hinten ins Heck deutlich gehört. Das ist schon das dritte Mal.«
»Das vierte Mal.« In der Woche, seit sie in See gegangen waren, kehrte der Traum – wovon auch immer er handeln mochte, denn Seregil konnte sich nach dem Erwachen nicht mehr daran erinnern – immer öfter wieder. Noch schlimmer aber war, daß er zu den merkwürdigsten Zeiten tagsüber einnickte und davon heimgesucht wurde, diesmal bei hellem Tageslicht am Fuße der Bugplattform.
»Wer zu wenig zu tun hat, kann sich bei mir gern zusätzliche Arbeit holen!« bellte Kapitän Rhal, als er an Deck stapfte, wodurch er das gaffende Knäuel zersprengte.
Als er Micum und Seregil erreichte, senkte er die Stimme zu einem tiefen Grollen. »Nach dem letzten Mal habt Ihr mir doch versprochen, Ihr würdet in Eurer Kabine bleiben. Die Männer fangen schon zu tuscheln an. Was soll ich Ihnen denn erzählen?«
»Was immer Euch einfällt«, erwiderte Micum und half Seregil auf die Beine.
»Die beiden, die mit Euch auf der Pfeil waren, kann man ihnen noch trauen?« fragte Seregil.
»Ich habe ihnen gesagt, sie sollen darüber die Schnauze halten, und das werden sie auch.« Mit unverändert gerunzelter Stirn setzte Rhal ab. »Aber Skywake munkelt, Ihr wärt ein Unglücksbringer, eine Sturmkrähe. Er ist schlau genug, es nicht offen auszusprechen, aber die anderen fangen an, es zu spüren.«
Einsichtig nickte Seregil. »Ich bleibe unter Deck.«
Micum folgte ihm, als er auf den Niedergang zuschritt. »Bei der Flamme, deinetwegen werden wir noch über Bord geschmissen, wenn du nicht aufpaßt«, murmelte er. »Diese Seeleute sind schlimmer als Soldaten, wenn es um etwas geht, das man als Omen deuten könnte.«
Seregil fuhr sich mit der Hand durch die strähnigen Haare. »Was hab’ ich denn diesmal gesagt?«
»Dasselbe wie immer, nur ›Nein, ich kann nicht‹, immer und immer wieder, bis ich bei dir war. Ich schätze, ich hätte dich nicht allein lassen sollen, nachdem ich gesehen hatte, daß du eingedöst warst.« In ihrer Kabine angekommen, ließ sich Micum auf seine Pritsche sinken. »Erinnerst du dich diesmal an irgend etwas?«
»An genausowenig wie zuvor«, erwiderte Seregil und streckte sich mit einem Flachmann voll Bier auf der eigenen Pritsche aus. »Ich ertrinke, und ich sehe jemanden, der durch das Wasser auf mich herabschaut.
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