Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
An mehr kann ich mich nie erinnern, trotzdem habe ich jedesmal höllische Angst. Je näher wir Plenimar kommen, desto schlimmer fühlt es sich an.«
»Mir gefällt das Ganze auch nicht besonders«, meinte Micum mit einem süßsauren Grinsen auf den Lippen.
Seit sie die Südspitze Skalas vor zwei Tagen umrundet hatten, sichteten sie in der Ferne ein halbes Dutzend feindlicher Schiffe, von denen sie zweien davongesegelt waren. Dies war ein weiterer Punkt, der den Unmut der Besatzung schürte; solange sie kein Schiff angriffen, würde es auch keine Beute aufzuteilen geben.
»Glaubst du, Nysander könnte auf diese Weise versuchen, dich zu erreichen?« fragte Micum ohne große Hoffnung.
»Ich wünschte, es wäre so, aber ich denke, das würde ich merken.« Er trank einen Schluck Bier und starrte verkniffen an die Kabinendecke. »Bei Illiors Licht, Micum, es fühlt sich so falsch an, daß er nicht hier ist. Und Alec.«
Seregil faßte in die Jackentasche und betastete darin den Griff des Dolches und die weiche Locke. Wenn sie zu spät kämen, wenn Alec sterben würde oder schon tot war …
»Du hast ihm nie etwas gesagt, oder?« wollte Micum wissen. »Von deinen Gefühlen für ihn, meine ich.«
»Nein, niemals.«
Langsam schüttelte sein Freund den Kopf. »Das ist schade.«
Aura Elustri málreis, betete Seregil stumm und umklammerte den Griff, bis seine Knöchel schmerzten. Aura Elustri, wach über ihn und hüte ihn, bis ich dieses Messer in die Herzen seiner Feinde rammen kann.
Das Getrampel von Füßen, das vom Deck herabdrang, weckte sie am nächsten Morgen kurz nach Sonnenaufgang.
»Feindsegel vor dem Steuerbordbug!« brüllte der Ausguck.
Seregil und Micum ergriffen die Schwerter und rannten hinauf.
Rhal, der am Ruder stand, deutete an den nordöstlichen Horizont, wo gerade ein schwarz und weiß gestreiftes Segel in Sicht geriet. »Diese Mistkerle müssen uns letzte Nacht gesichtet und verfolgt haben.«
»Können wir sie abschütteln?« fragte Micum, der schützend die Hand über die Augen hielt. Die Entfernung war bereits so gering, daß er das Schiff selbst erkennen konnte, das tief im Wasser lag und flott durch die Wellen schnitt.
»Nach der Form der Segel zu schließen, muß ich das verneinen. Sieht so aus, als müßten wir diesmal kämpfen«, antwortete Rhal mit einer gewissen grimmigen Befriedigung. »Ich weiß, wie Ihr darüber denkt, Seregil, aber es wäre am besten, wenn wir den Angriff starten.«
Seregil schwieg eine Weile und schien den herannahenden Segler eingehend zu betrachten.
»Die Segel dieses Schiffes unterscheiden sich kaum von unseren, richtig?«
»Ja, wir haben in etwa die gleiche Takelung.«
»Also könnte dieses Schiff mit dem Tuch des anderen segeln?«
Rhal grinste, als er begriff, worauf Seregil hinauswollte. »Bei der ordentlichen Marine würde man das als unehrenhaften Kniff bezeichnen.«
»Deshalb halte ich mich auch lieber an Freibeuter«, erwiderte Seregil und grinste zurück. »Je näher wir Plenimar kommen, desto weniger Aufmerksamkeit sollten wir auf uns ziehen, zumindest aus der Ferne.«
»Beim Alten Seebären, Lord Seregil, in Euch schlummert ein großartiger Pirat. Das einzig Dumme ist, daß wir unsere Feuerkörbe nicht einsetzen können, wenn die Segel unversehrt bleiben sollen.«
»Dann hebt sie für die äußerste Not auf und schleudert erst alles andere auf sie.«
»Alle Mann fertig machen zum Kampf«, verkündete Rhal, und der Ruf wurde über die gesamte Länge des Decks weitergeplärrt.
Bereitwillig eilte die Besatzung der Lady an die Arbeit. Der Rudergänger wendete das Schiff, um den plenimaranischen Herausforderern entgegenzusegeln. Luken wurden geschlossen, Katapulte in die Haltesockel entlang des Decks und auf den Kampfplattformen vorn und achtern geschoben, Körbe voll Steine, Ketten und Bleikugeln aus dem Laderaum herbeigeschafft. Rhals Bogenschützen nahmen ihre Stationen ein, und die Klinge jedes Schwertes und jedes Entermessers wurde noch ein letztes Mal mit dem Daumen überprüft.
»Sie haben die Kriegsflagge aufgezogen, Käpt’n«, brüllte der Ausguck, während sie auf das feindliche Schiff zuhielten.
»Zieht die gleiche Flagge auf!« antwortete Rhal.
Micum verlor Seregil im allgemeinen Getümmel aus den Augen, doch wenig später kehrte sein Freund mit Alecs Bogen zurück.
»Hier«, sagte er und reichte ihn Micum, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen. »Du kannst besser damit umgehen als ich.«
Bevor Micum eine Antwort einfiel,
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