Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Beshar doch erzählt – daß du nur geholfen hast. Aber letzten Endes läuft es auf dasselbe hinaus, nicht wahr? Du bist hier bei mir, er ist wohlbehalten in Rhíminee und schätzt sich zweifellos ausgesprochen glücklich. Kannst du deinem treulosen Freund immer noch die Treue halten?«
»Ja.« Unbeirrt hielt Alec Mardus’ Blick stand und stellte gespielte Tapferkeit zur Schau, die er in keiner Weise verspürte. Hinter Mardus, jenseits der Reling und der schier unendlichen See erblickte er am Horizont den winzigen Punkt einer Insel, zu weit entfernt, um ihm von Nutzen zu sein.
Genau wie Seregil.
Eine Welle der Sehnsucht spülte über Alec hinweg und trieb ihm heiße, salzige Tränen in die Augen. All die Tage mit Seregil, die so selbstverständlich für ihn geworden waren – die Erinnerung daran erfüllte ihn mit Schmerz, während er mutterseelenallein unter all diesen Feinden stand.
Der Dyrmagnos legte die verschrumpelten Hände einen Augenblick auf die Krone, dann stieß Irtuk in ihrer Sprache einen Ruf aus. Von unter Deck ertönten die Geräusche eines Handgemenges, gefolgt von einem entsetzten Schrei. Einen Lidschlag später wurde Gossol von mehreren Soldaten an Deck geschleift. Mit nackten Füßen, bloßer Brust und wirren Augen starrte er auf die Versammlung vor sich. Als er jedoch den Dyrmagnos erblickte, wurde er aschfahl; von namenlosem Grauen erfüllt, begann die faßähnliche Brust, sich heftig zu heben und zu senken.
»Wir haben uns schon den Kopf darüber zerbrochen, wen wir als Opfer auswählen sollten, aber du hast uns die lästige Notwendigkeit einer Auslosung erspart«, teilte Mardus dem Jungen vergnügt mit. »Selbstverständlich handelt es sich nur um ein Voropfer. Das Blut dieses ahnungslosen Idioten ist weder so mächtig noch so rein wie beispielsweise das eines Halb-Aurënfaie oder eines Zauberers der Orëska, heute aber genügt es unseren Zwecken.«
»Deshalb lebe ich also noch?« brachte Alec mit einer Stimme hervor, die kaum mehr als einem heiseren Krächzen glich.
»Gewiß«, versicherte Mardus ihm, als verspreche er ihm ein Geschenk. »Du und Thero, ihr beide werdet für den bedeutsamsten Augenblick aufgehoben. Die Macht eures Blutes, Alec! Die langen Jahre der Vorbereitung. Ihr beide geht in höchsten Ehren in den Tod. Ihr solltet diese Zeremonie aufmerksam verfolgen. Eure wird ziemlich ähnlich aussehen.«
Gossol wurde auf den Rücken geschleudert und von vier Marinesoldaten am Boden festgehalten, die sich durch weiße Kopfbänder von ihren Kameraden unterschieden. Ein fünfter Mann kniete sich nieder und stopfte dem zum Tode Verurteilten einen Knebel in den Mund.
Ungeachtet aller Furcht schaute Gossol Alec plötzlich in die Augen und schleuderte ihm einen Blick blanken Hasses entgegen. Die Inbrunst darin schnürte Alec förmlich die Kehle zu. Rasch wandte er den Kopf ab und verfluchte die Schuldgefühle, die sich in ihm ausbreiteten.
Während der unverständliche Gesang andauerte, musterte er statt dessen Thero und versuchte zu erraten, was im benebelten Verstand des Zauberers vor sich gehen mochte. Thero stand nur reglos da, hilflos in den magischen Fesseln gefangen, die ihm die Totenbeschwörer angelegt hatten. Nur das krampfhafte Zucken der Finger, die ohne Unterlaß den Mantelsaum drehten, ließ darauf schließen, daß er überhaupt etwas von dem begriff, was um ihn herum geschah.
Abermals erhob Irtuk die Stimme, woraufhin der zweite Totenbeschwörer etwas von der Stelle aufhob, wo sie hockte. Als er Ashnazai den Gegenstand reichte, erkannte Alec, daß es sich um eine seltsame, axtähnliche Waffe handelte. Das schwere, geschwungene Oberteil war aus schwarzem Obsidian gemeißelt und an einem Holzgriff befestigt. Trotz des augenscheinlichen Gewichts der Waffe holte Vargûl Ashnazai mühelos mit geübtem Schwung über dem Kopf damit aus. Nur Gossols erstickter Schrei war zu vernehmen, als der Totenbeschwörer zuhieb und die schwarze Klinge die Brust des Verdammten so sauber spaltete wie eine Holzaxt einen Eichenscheit.
Panisch wandte Alec die Augen ab und preßte sie zu, bis pochende Schmerzen durch seinen Kopf fluteten. Dennoch gab es kein Entrinnen vor den Geräuschen, die folgten. Gossols Schreie steigerten sich in ein Kreischen, bevor sie gurgelnd, würgend erstarben. Danach ertönte das trockene Knacken von brechenden Knochen, unmittelbar darauf das feuchte Schmatzen eines Leibes, der geöffnet wird. Die Augen nach wie vor geschlossen, erinnerte sich Alec daran, wie
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