Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
befindet sich keine einzige plenimaranische Stadt. Wenn sie sich schon die Mühe antun, so viele Gefangene zu machen, wieso, um alles in der Welt, bringen sie die dann nicht nach Süden, wo man sie brauchen könnte?«
Sie legte Steb die Hand auf die angespannte Schulter. »Aber egal, es gestaltet unsere Aufgabe leichter. Wir wollten ohnehin entlang der Küste nach Norden reiten. Wir verfolgen sie, jagen sie, bei allen Göttern, und lauern auf eine Gelegenheit, Mirn und Gilly zu befreien!«
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Eigenartige Gastfreundschaft
Nach Gossols Opferung behandelten die Wachen Alec mit nachgerade abergläubischer Behutsamkeit, doch sie ließen unmißverständlich erkennen, daß sie ihm die Schuld am Tod ihres »Soldatenbruders« gaben.
Auch Ashnazai suchte ihn seltener heim, obwohl er immer noch gelegentlich mitten in der Nacht auftauchte. Dann schreckte Alec jedesmal aus einem Alptraum hoch, roch in der Finsternis den schmutzigen Gestank des Mannes und spürte kalte Finger auf der Haut, bevor ihn Ashnazai in einen weiteren Vergeltungsstrudel der Qualen stieß.
Mit jedem Tag, den er allein in der winzigen, dunklen Kabine verbrachte, sank Alecs Mut ein wenig tiefer. Vergeblich hatte er nach irgend etwas gesucht, womit er fliehen konnte, selbst wenn dies bedingte, daß er über Bord sprang. Zur Untätigkeit verdammt, schlief er viel, doch seine Träume quollen stets über vor Gewalt und Omen. Der Traum von dem Pfeil ohne Spitze kehrte inzwischen immer häufiger wieder, bisweilen zweimal an einem Tag. Unter solch bedrückenden Bedingungen freute er sich zunehmend auf den täglichen Deckspaziergang mit Mardus. Trotz der äußerst unerquicklichen Offenbarung anläßlich des Rituals behandelte Mardus ihn weiterhin seltsam zuvorkommend, so als genieße er Alecs Gesellschaft.
Jeden Vormittag bekam Alec einen Mantel und wurde streng bewacht an Deck geführt. Ob bei gutem oder schlechtem Wetter, stets wartete Mardus bereits auf ihn, um sich in weiterer Folge über ein Thema zu ergehen, das ihm gerade behagte. Zu Alecs großer Überraschung erwies sich Mardus als bemerkenswert kluger, gebildeter Mann mit ebenso mannigfaltigen Interessen wie Seregil. Er konnte sich genauso fachmännisch über plenimaranische Kriegstaktiken wie über die feinen Unterschiede zwischen plenimaranischer und skalanischer Volksmusik unterhalten, wenngleich seinen Ergüssen zumeist eine dunklere Färbung anhaftete.
»Die Folter ist eine unterbewertete Form der Kunst«, stellte er fest, während sie eines frischen Morgens mit Vargûl Ashnazai auf und abschlenderten. »Die meisten Menschen glauben, man müsse lediglich genug Schmerz verursachen, um ans Ziel zu gelangen. In manchen Fällen mag das wohl zutreffen, ich aber war schon immer der Meinung, daß man mit brutaler Gewalt häufig nur das Gegenteil erreicht. Denk nur an deine eigene jüngste Erfahrung, Alec. Ohne einen einzigen Tropfen Blut zu vergießen, ist es uns gelungen, dir selbst das letzte Quentchen Wissen abzuringen.«
»Die Totenbeschwörung ist eine hehre Kunst«, warf Ashnazai selbstgefällig ein.
»Sie kann es sein«, berichtigte Mardus trocken, »obwohl ich viele der Riten, deren Zeuge ich wurde, kaum als ›hehre‹ Angelegenheit beschreiben würde. Aber um auf das eigentliche Thema zurückzukommen: Sei versichert, Alec, wäre es nicht unabdingbar gewesen, kein Blut zu vergießen, hätte ich dasselbe Ergebnis auch ohne derart außergewöhnlichen magischen Aufwand erzielt.«
Ashnazai bedachte Alec mit einem giftigen Lächeln und sagte: »Ich bin neugierig, Herr: Welcher Mittel hättet Ihr Euch denn bedient?«
Mardus verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ließ sich die Frage so ungerührt durch den Kopf gehen, als hätte Ashnazai ihn um seine Meinung hinsichtlich der Getreidepreise nächstes Jahr gefragt. »Häufig beginne ich mit den Genitalien. Während der Blutverlust vernachlässigbar ist, entstehen erlesene Schmerzen und seelische Qualen. Hat man diese Ebene der Pein erst erreicht, ist der Gefangene für gewöhnlich recht einfach zu bearbeiten. In Alecs Fall hätte ich es so eingerichtet, daß er danach noch tauglich für die Sklavenmärkte gewesen wäre. Nur ein Narr würde ein so hübsches Geschöpf unnötigerweise zerstören.«
Auf hoher See in solcher Gesellschaft gefangen, stand Alec kurz davor, sich der Verzweiflung zu ergeben. Bei Tag war er das Spielzeug seiner Peiniger. Bei Nacht steigerten die gedämpften Schreie, die aus dem Laderaum zu ihm
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