Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
wir haben keine Jahre, nicht einmal mehr Wochen Zeit.«
»Ein Helm?« hinterfragte Alec den neuen Begriff.
Kopfschüttelnd wandte sich Mardus an seine Gefährten. »Stellt euch das bloß mal vor! Dieser Nysander, dieser ach so große und mitfühlende Magier, spannte seine engsten Freunde für seine Diebstähle ein, ohne ihnen auch nur den geringsten Hinweis darauf zu geben, in was sie dadurch verstrickt wurden. Und dabei hat er Seregil, den armen, jungen Alec und Thero doch fast als Söhne betrachtet.
Ja, Alec, der Helm. Der Große Helm des Seriamaius. Die Münze, wie du es so belustigend bezeichnest, die Schale und die Krone sind allesamt Bestandteile eines größeren Ganzen. Bringt man diese Teile zur rechten Zeit mit den übrigen zusammen, verschmelzen sie wieder zu dem Helm, den Seriamaius unseren Ahnen vor mehr als sechs Jahrhunderten offenbarte.«
»Er stellt das höchste Artefakt der Macht des Totenbeschwörertums dar«, ergänzte Irtuk Beshar. »Wer ihn trägt, wird zum Vatharna, der lebenden Verkörperung von Seriamaius.«
»Die Legenden aus dem Großen Krieg. Armeen wandelnder Toter«, murmelte Alec leise und dachte an das uralte Tagebuch, das Seregil und er in der Bibliothek der Orëska entdeckt hatten.
»Vielleicht haben wir dieses Kind unterschätzt«, meinte der Dyrmagnos und legte den Kopf schief, um Alec eingehender zu mustern. »Womöglich verbergen sich in ihm noch immer Tiefen, die wir erst ergründen müssen.«
Innerlich erschauderte Alec unter ihrem gierigen Blick.
»Und in diesen Geschichten wird der Helm nie erwähnt?« fuhr Mardus fort. »Das überrascht mich nicht. Gegen Ende des Krieges wurden wir betrogen. Mit Hilfe einiger Verräter, kriecherischer Aurënfaie-Zauberer und einer Rotte zerlumpter Drysier gelang es den Magiern der Zweiten Orëska, den Helm an sich zu reißen und zu zerlegen, bevor seine ganze Macht heraufbeschworen werden konnte. Zum Glück waren sie außerstande, die einzelnen Teile zu zerstören. Ein paar davon konnten unsere Totenbeschwörer zurückerobern; der Rest wurde fortgeschafft und versteckt. Sechs Jahrhunderte lang haben meine Vorgänger danach gesucht und ein Stück nach dem anderen wieder zusammengetragen.«
»Deshalb wart Ihr also in Wolde«, sprach Alec bedächtig. »Ihr wart im Fen-Gebirge, in jenem Dorf, das Micu …«
»Micum Cavish?« Ashnazai lächelte, als Alec jäh verstummte »Sei unbesorgt. Du hast uns den Namen schon längst preisgegeben, so wie alles andere auch.«
Mardus hielt inne, als der Diener Tabletts mit gebratenen Tauben und Gemüse auftrug.
»Versuch, etwas zu essen«, sagte er und richtete Alec höchstpersönlich einen Teller an.
Alec, den der eigene Hunger überraschte, tat Mardus den Gefallen. »Nun, wo war ich?« fragte der Herzog und pickte sich selbst eine Taube heraus. »Ah ja. Die drei Teile, die Nysander gehütet hat, waren die letzten; die Schale stellte eine ausgesprochen angenehme Entdeckung dar. Von den anderen Stücken wußten wir, da uns beide vor der Nase weggestohlen wurden – wie sich herausstellte von deinem Freund Seregil. Aber die Spur der Schale galt als verloren, bis ihr uns durch den Raub des Auges zu ihr hingeführt habt. Und zwar gerade noch rechtzeitig. Tatsächlich reicht die Zeit hauchdünn aus, um die rituellen Vorbereitungen abzuschließen.«
»Die – Opferungen, meint Ihr?« erkundigte sich Alec.
»Ja.« Mardus beugte sich vor, während der Diener einen Gang gebratenes Schweinefleisch servierte. »Jede geraubte Seele, jeder Tropfen Herzensblut bringt uns Seriamaius, seiner gewaltigen Macht näher. Kein Mensch könnte je eine derartige Macht in sich beherbergen, aber durch den Helm ist es möglich, einen geringen Teil davon in sich aufzunehmen. Selbstverständlich ist ›gering‹ in diesem Fall als verhältnismäßiger Begriff zu betrachten. Ist der Helm erst wieder zusammengesetzt, wächst seine Macht mit jedem Leben, das ihm geopfert wird, bis ein einziger Gedanke des Trägers ganze Städte dem Erdboden gleichzumachen, Tausende Menschen zu beherrschen vermag. Und dich Alec, dich und Thero hebe ich für die letzte Opferung anläßlich des Wiederherstellungsrituals auf. Vor euch werden noch Hunderte sterben, wodurch euch die besondere Ehre zuteil wird, jeden einzelnen Tod zu beobachten, bis ihr selbst an der Reihe seid, zwei letzte, vollkommene Opfer. Das Blut ist größtenteils nur ein Symbol für die Lebenskraft, die dem Gott dargebracht wird. Je jünger der Betroffene ist, je mehr Jahre
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