Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
keine weiteren Gefangenen übrig. Alec und Thero hatten ordentliche Kleidung erhalten, bevor sie an Deck gebracht wurden, die Hände hatte man ihnen hinter dem Rücken gefesselt.
Thero benahm sich wie ein Schlafwandler, gehorchte einfachen Befehlen und bewegte sich, wenn man es ihm sagte. Ansonsten verharrte er reglos; seine Züge verrieten in keiner Weise, ob und welche Gedanken ihm durch den Kopf gingen. Die nahtlosen Eisenbänder um seine Handgelenke funkelten sanft im Fackellicht, wenn er sich regte, die unlesbaren Symbole, die in die polierte Oberfläche geritzt waren, warfen winzige schwarze Schatten.
Das ist das Geheimnis, dachte Alec. Er war überzeugt davon, daß diese Symbole, nicht der Zaum die Quelle der Herrschaft ihrer Feinde über Thero darstellten. Wenn er sie nur irgendwie abbekommen könnte …
An Deck setzte reges Treiben ein. Irtuk Beshar und die übrigen Totenbeschwörer standen gemeinsam am Fuß der Plattform und unterhielten sich leise, während ihre Reisetruhen heraufgeschleppt und an der Reling gestapelt wurden.
Hauptmann Tildus und ein paar seiner Männer fuhren mit einem Beiboot an Land und kehrten bald mit einigen Neuigkeiten zurück. Obwohl Alec nicht verstand, was sie erzählten, zeigte sich Mardus unverkennbar erfreut über Tildus’ Bericht. Nachdem er geendet hatte, brüllte der Hauptmann einen Befehl, und die Seeleute begannen hastig, den Rest der Beiboote für den Landfall vorzubereiten.
Mardus ging über das Deck zu Alec und Thero hinüber, die immer noch streng bewacht wurden. »Von hier aus reisen wir über Land weiter«, teilte er Alec mit. »Thero ist ausreichend behandelt, also erwarte ich keine Schwierigkeiten von ihm. Mit dir hingegen verhält es sich ein wenig anders.« Er setzte ab, und die Narbe unter dem linken Auge verzerrte sich, als er lächelte. »Du hast dich bereits als schlüpfriger Geselle erwiesen, und an Land wirst du zweifellos die Versuchung verspüren zu fliehen. Aber ich versichere dir, es wäre ein fruchtloses Unterfangen, und die Folgen wären höchst unangenehm, jedoch nicht tödlich.«
»Unangenehmer, als die Brust mit einer Axt gespalten zu bekommen?« murmelte Alec und funkelte ihn zornig an.
»Unvorstellbar unangenehmer.« Mardus’ Augen wirkten unergründlich wie der nächtliche Himmel und ebenso rätselhaft. Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt davon, um seine Männer zu beaufsichtigen.
Ungeachtet der warmen Kleidung fröstelte Alec, als er abermals den Kometen betrachtete, der am Rand der Welt schimmerte. Dies war vielleicht noch nicht die Nacht des abschließenden Rituals, doch nun mußte sie bereits sehr nah sein. Welchem Zeitplan Mardus auch folgte, der Komet stellte eindeutig ein bedeutsames Zeichen dar.
Irgendwo an jener dunklen Küste erwartete sie ihr Bestimmungsort und Alec der Tod.
Bis zur Reling war es nur ein kurzes Stück, dachte er. Wenn er schnell genug handelte, konnte er die Wachen überraschen, an ihnen vorbeistürmen und über Bord springen.
Und was dann? Alec vermeinte fast zu sehen, wie Seregil ihn aus den Schatten mit unzufrieden gerunzelter Stirn musterte. Selbst wenn du mit gefesselten Händen schwimmen könntest, da drüben lauern wahrscheinlich an die zweihundert Soldaten, ganz zu schweigen von mindestens einem Totenbeschwörer. Oder hattest du eher vor, in die dunklen Tiefen hinabzutauchen und dort unten kräftig einzuatmen?
Und übrigens, was würde bei alldem aus Thero?
Alec ballte die Hände zu Fäusten, als die Verzweiflung abermals drohte, ihn zu überwältigen. Noch war er nicht bereit zu sterben, und er wußte, daß er Thero nicht im Stich lassen konnte. Er hatte keine Ahnung, ob und wieviel Schuld an dem Schlamassel der junge Zauberer trug; Theros wirres Geständnis war zu sehr unter Irtuks Einfluß erfolgt, als daß Alec ihm völlig Glauben schenkte, wenngleich die Zweifel, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatten, nur allzu nagend waren. Aber ob schuldig oder nicht, er würde ihn nicht einfach zurücklassen.
»Du jetzt gehen«, befahl eine der Wachen und stieß ihn auf das letzte Beiboot zu.
Es war zu spät, um etwas anderes zu tun als zu gehorchen, Illior und Dalna, ihr Götter meiner Eltern, ich erflehe eure Hilfe, betete er stumm, während er voranstapfte.
Als er sich der Reling näherte, sah er halb im Schatten eines Schotts verborgen etwas liegen, das zu finden er längst alle Hoffnung hatte fahren lassen.
Einen Nagel.
Zwei Zoll lang, rechteckig geschmiedet und leicht verbogen,
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