Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
»Verstreu die Teile, verstreu sie – dieses Ding stirbt einfach nicht.«
»Alec kümmert sich gerade darum«, versicherte sie ihm. Sie zog die Handschuhe aus, um seine Hand in die ihre zu nehmen und erblickte zum ersten Mal die seltsamen Symbole, die irgendwie auf ihren Handflächen erschienen waren. Die ihres Vaters wiesen dieselben Muster auf.
»Zuerst finde ich dich an diesem höchst unwahrscheinlichen Ort und dann auch noch das«, sagte sie verwirrt. »Was, in Sakors Namen, geht hier vor?«
Micum hielt die Hand neben die ihre. »Also bist du auch die Vorhut. Die Dinge haben sich auf merkwürdige Weise zusammengefügt, Beka. Du kennst nicht einmal die Hälfte der Geschichte.« Damit schloß er die Augen wieder und holte rasselnd Luft.
Beka riß den Kittel auf und legte das Ohr auf seine Brust. Sein Herz hämmerte zu heftig, seine Haut fühlte sich zu kalt an. Als sie sich um Hilfe umschaute, erblickte sie Alec und Rhylin, die auf sie zueilten und zwischen sich einen weiteren Mann stützten. Dieser hagere Bursche mit dem verfilzten, schwarzen Haar und dem flaumigen Bart wirkte entfernt vertraut. Auch er war verwundet; eine Seite seines Gesichts war blutig, quer über den Rippen prangte ein Schwertschnitt. Dennoch wirkten die fahlen, grünen Augen wach und bei vollem Verstand, als er neben Micum niedersank.
»Hilf ihm, Thero. Es muß doch etwas geben, das du tun kannst«, bettelte Alec. »Ich muß Seregil suchen! Hat ihn irgend jemand gesehen? Ihn oder Nysander?«
»Ich bin hier, mein lieber Junge«, antwortete eine tonlose Stimme aus den schattengetünchten Riffs über ihnen.
50
Vatharna
Mardus stand Seregil in dem unebenen Becken geduckt gegenüber, während ihnen die Flut um die Knöchel spülte. Sie wateten durch eisiges Wasser und umkreisten einander, wetteiferten um den Besitz des Helmes, der zwischen ihnen teilweise unter Wasser lag; das Schimmern der zu neuem Leben erwachten, blauen Augensteine zeichnete sich durch das trübe Naß als fahles Leuchten ab. Der Blitz, durch den der Helm entstanden war, hatte das flache Becken in eine breite Grube verwandelt, deren Seiten an manchen Stellen höher aufragten als die beiden Männer, die darin kämpften. Einzig von der leblosen Glut der nach wie vor andauernden Sonnenfinsternis erhellt, mit Leichen übersät, glich die Grube einem Ort aus einem fiebrigen Alptraum.
»Ich hätte deinen Jungspund töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte«, knurrte Mardus.
»Ja, das hättest du«, erwiderte Seregil zwischen zusammengebissenen Zähnen und schätzte seinen Gegner ein. Mardus verkörperte keinen unbedingt muskelbepackten Rivalen, aber er hatte den Brustharnisch als Schutz. »Weißt du, bei Nysander hast du es auch nicht geschafft. Er ist am Leben, und der Ring der Vier bleibt ungebrochen.«
»Und dennoch habt ihr versagt«, entgegnete Mardus hämisch und deutete mit der Spitze des Dolchs, den er in der linken Hand hielt, auf den Helm. »Ich bin der Vatharna, der von Seriamaius Auserwählte. Glaubst du tatsächlich, daß du mich jetzt noch aufhalten kannst?«
»Ich wurde auch auserwählt, du vaterloser Sohn einer billigen Hure.« Mit einer Hand zog Seregil den Kittelkragen auseinander, um Mardus das verkehrte Symbol zu zeigen, das auf seiner Brust prangte. »Töten aber werde ich dich für meine Leute im Jungen Hahn, und für das, was du Alec angetan hast. Für die Torläufer und Schnüffler, die du benutzt und betrogen hast, für die Unschuldigen, die durch deinen Befehl gestorben sind. Teufel auch, ich werde dich einfach aus lauter Spaß töten. Komm schon, Herr Verzehrer von Scheiße. Bringen wir’s hinter uns.«
Er stürzte sich auf Mardus, und ihre Schwerter verkeilten sich in einer klirrenden Parade, die beiden einen dumpfen Schmerz durch den Arm jagte. Seregil duckte sich unter Mardus’ Deckung und versuchte, einen Treffer unterhalb des Brustharnisches zu landen. Dabei verlor er beinahe das Gleichgewicht, und die Klinge prallte von Metall ab, doch die Spitze riß den linken Arm des Mannes auf; frisches Blut troff in das bereits fleckige Wasser im Becken. Keiner der beiden Streiter bemerkte, daß der trübe Schimmer des im Sog der Flut hin und her rollenden Helmes heller wurde.
Während Seregil auf dem losen Untergrund um Halt kämpfte, erkannte er bald, daß er unterlegen war. Auf besserem Boden hätte seine Flinkheit das ungleiche Kräfteverhältnis ausgewogen, doch hier, gefangen in dieser unter Wasser stehenden Grube, konnte
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