Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
erkannte, was das unförmige Ding sein mußte, das an ihm hing. Es hatte keinen Sinn, von hier aus zu schießen, da keine Möglichkeit bestand, den Dyrmagnos zu treffen, ohne Micum gleichzeitig zu töten. Alec umfaßte den Pfeil wie einen Dolch, raste über die Felsen hinunter und betete, es möge noch nicht zu spät sein.
Beka schaute über die Schulter zurück und sah, daß es Braknils Dekurie gelungen war, das Lager der Plenimaraner in Brand zu stecken. Auf diese Zeichen hin eröffneten sie und Rhylins Dekurie das Feuer auf die plenimaranischen Soldaten, die in dem natürlichen Amphitheater unter ihnen umherschwirrten. Von der Anhöhe aus, auf der sie standen, war es, als schössen sie auf Schweine in einem Pferch.
Aber sie waren nicht die ersten gewesen, die geschossen hatten. Noch während Beka Pfeil um Pfeil abfeuerte, fragte sie sich, wie Braknil so schnell zurückkommen konnte und was seine Gruppe auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht verloren hatte. Irgend jemandem war es gelungen, die Hexerin zu treffen, bevor Beka ihren Leuten den Befehl zum Anlegen geben konnte. Wie auch immer es sich abgespielt haben mochte, jedenfalls veranstalteten die Gefangenen unten einen mächtigen Aufruhr, genau wie sie gehofft hatte.
»Das sollte sie eine Weile beschäftigen«, knurrte sie und wandte sich den anderen zu. »Kommt, urgazhi, verschwinden wir.«
»Wartet, Leutnant«, flüsterte Rhylin. »Mir scheint, wir sind nicht die einzigen, die hinter ihnen her waren!«
Die aufgestachelten Gefangenen drängten ihre Häscher zu den Riffs zurück, in Ufernähe jedoch tobte ein weiteres, kleines Gefecht. In den Schatten des natürlichen Beckens, das zwischen den beiden Anhöhen lag, funkelte Stahl im flackernden Licht von Fackeln. General Mardus war nirgends zu sehen, aber die Hexerin war immer noch am Leben und rang mit einem großen Schwertkämpfer.
Bekas Herzschlag setzte aus.
»Das kann nicht sein!« keuchte sie. Dann preschte Alec hinter einer Felsreihe hervor und rannte, nur mit einem Pfeil in der Hand, durch das seichte, wild aufspritzende Wasser auf das verbissen kämpfende Paar zu.
Beka ließ den Bogen fallen und kletterte die steile Felswand hinab.
»Was habt Ihr vor?« rief Rhylin und packte sie am Handgelenk.
Beka riß sich so heftig los, daß sie den überraschten Mann um ein Haar über den Felsrand zog.
»Mein Vater ist da unten!« herrschte sie ihn über die Schulter hinweg an und rutschte weiter hinab.
»Reiter!« brüllte Rhylin hinter ihr. »Folgt dem Leutnant! Zum Angriff!«
Micum setzte sich unter dem Dyrmagnos immer noch schwach zur Wehr, als Alec ihn erreichte. Der Junge riß Beshars Schädel an den spärlichen Haarbüscheln zurück und rammte ihr den Pfeil in den Hals. Der darauf folgende Blitz schleuderte ihn mit summenden Ohren auf den Rücken.
Wild kreischend ließ Irtuk Beshar von Micum ab, schleppte ihre Reste auf Alec zu und schloß die Hand um seinen Knöchel.
»Jetzt kriege ich dich doch noch«, krächzte sie und hangelte sich mit beiden Händen wie eine alptraumhafte Eidechse sein Bein hoch.
Alec sah seinen Tod in ihren Augen. In seiner Hast, Micum zu Hilfe zu eilen, hatte er die letzten beiden weißen Pfeile bei seinem Bogen zurückgelassen.
»Aura Elustri!« keuchte er und versuchte verzweifelt, das Schwert aus der Scheide zu zerren, die unter dem Bein begraben lag. Bevor er das Gewicht verlagern konnte, sauste eine andere Klinge herab und schleuderte den Schädel des Dyrmagnos in die Brandung.
Alec schüttelte die an ihm haftenden Hände ab, rappelte sich auf die Beine und starrte ungläubig auf Beka Cavish, die wie besessen auf die um sich fuchtelnden Arme und den Rumpf des Ungetüms einhackte.
»Weg von dem Zeug«, warnte er sie. »Du kannst es nicht töten.«
»Was tust du hier?« fragte sie und wich vor den zuckenden Überresten zurück.
»Keine Zeit für Erklärungen. Wo ist Micum? Geh und kümmere dich um ihn.«
Beka fand ihren Vater reglos dort liegen, wo er gefallen war; mit geschlossenen Augen rang er nach Luft. Schweiß strömte ihm in dünnen Rinnsalen über das Gesicht und grub Rillen in den schwarzen, über die Augen gemalten Farbstreifen.
»Vater, du bist es ja wirklich!« stieß Beka hervor und kniete nieder, um die gräßliche Wunde am Bein zu untersuchen. In ihrer Wut hatte Irtuk Beshar Haut und Muskeln zerfetzt, und das rohe Fleisch begann bereits, sich gefährlich dunkel zu verfärben.
»Beka?« stöhnte er und schlug die Augen auf.
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