Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
war, verblüffte es ihn, Geschichten von einer ganzen Gruppe kostümierter Schauspieler verbildlicht zu sehen. Gleichgültig, ob er den Inhalt einer Geschichte verstand – was des öfteren nicht zutraf –, allein das Gepränge der Aufführung fesselte ihn, bis der letzte Vorhang fiel.
Und während alledem ging Alecs Ausbildung weiter: Türschlösserkunde und Schwertkunst, Etikette und Abstammungslehre, Geschichte und Maskerade, die richtige Kittelwahl und Taschendiebstahl – sowie an die hundert weitere Fähigkeiten, die Seregil für einen angehenden Spion als unverzichtbar erachtete.
Als sie eines grauen Morgens, mehrere Wochen nach dem Fest, bei einem späten Frühstück saßen, reichte Seregil seinem jungen Freund von dem Stapel neuer Post an seinem Ellbogen eine versiegelte Nachricht.
Alec brach das Siegel und las eine hastig gekritzelte Botschaft von Beka Cavish.
Kann heute nachmittag ein paar Stunden freibekommen. Lust auf einen Ausritt? Wenn ja, dann triff mich zu Mittag an der Cirna-Straße.
»Heute nachmittag brauchst du mich doch nicht, oder?« fragte er hoffnungsvoll und reichte Seregil das Schreiben. »Ich hab’ sie seit der Vereidigung nicht mehr gesehen.«
Seregil nickte. »Geh ruhig. Ich komme schon ohne dich zurecht.«
Obwohl Alec lange vor der vereinbarten Zeit am Ernte-Markt eintraf, wartete Beka bereits am Stadttor auf ihn. Die Art, wie sie auf dem Pferd saß, die Zügel lässig in der einen Hand, den Ellbogen in verwegenem Winkel unter dem grünen Umhang vorgestreckt, sprach Bände: Sie schien für das Soldatenleben geboren.
»Spielst du denn nicht mehr den feinen, jungen Pinkel?« rief sie ihm entgegen, während er Windläufer durch die Menge der Marktbesucher lenkte.
»Seregil wird schließlich doch noch einen Edelmann aus mir machen.« Er warf sich in eine hochmütige Pose. »Schon bald bin ich zu gut, um mich mit deinesgleichen abzugeben.«
»Dann brechen wir besser auf, solange es noch geht. Ich brauche einen ordentlichen Ausritt«, erwiderte sie und grinste ihn an. Dann stupste sie Wyvern in einen gemächlichen Trab und steuerte das Roß zum Tor hinaus. Sobald sie die anschließende Außenmauer hinter sich gelassen hatten, trieben sie die Pferde in den Galopp und ritten nordwärts die Klippen entlang. Der gefrorene Pfad klirrte wie Metall unter den Hufen der Gäule; auch die See schien unter dem trüben Winterhimmel metallisch zu schimmern. Im Osten ragten weiß die Gipfel der Berge zwischen den tiefhängenden Wolken auf.
Seite an Seite preschten Beka und Alec mit hinter ihnen flatternden Umhängen etwas über eine Meile die Landstraße entlang, dann bogen sie auf eine dem Meer zugewandte Wiese.
»Das ist aber ein ziemlich schweres Geschirr, das du Wyvern angelegt hast«, meinte Alec, als er den ledernen Brustpanzer und die Roßstirn bemerkte.
»Dadurch soll er sich daran gewöhnen«, erklärte sie. »Bei Feldzügen wird das Leder durch Filzpolster und Bronzeplatten ersetzt.«
»Wie gefällt dir denn das Soldatenleben? Und wie muß ich dich jetzt anreden?«
»Zunächst sind wir alle Reiter, obwohl diejenigen, die ein Patent besitzen, eigentlich von Anfang an als Offiziere gelten. Wenn wir in den Krieg ziehen, breche ich als Leutnant auf. Im Augenblick werden alle neuen Reiter in Ausbildungsdekurien aufgeteilt. Ich bin in der ersten Turma unter Hauptmann Myrhini. Einem Leutnant unterstehen drei Dekurien, aber zumeist übernimmt der Feldwebel das Exerzieren …«
»Halt mal!« fiel Alec ihr ins Wort und zügelte Windläufer. »Ihr Soldaten sprecht eine eigene Sprache. Was ist eine Turma?«
»Ich komme selbst erst allmählich dahinter«, gestand Beka. »Mal sehen – zehn Reiter bilden eine Dekurie, die von einem Feldwebel befehligt wird. Drei Dekurien ergeben eine Turma unter einem Leutnant; drei Turmae einen Trupp und vier Trupps eine Schwadron; zwei Schwadronen ein Regiment, das samt Offizieren, Pferdeknechten und so weiter etwa achthundert Köpfe zählt. Hauptmann Myrhini untersteht der Erste Trupp der Löwen-Schwadron unter Kommandantin Klia. Kommandant Perris befehligt die Wolf-Schwadron. Und der älteste Sohn der Königin, Prinz Korathan, ist Regimentsführer.«
»Klingt nach einem ziemlich erlauchten Haufen.«
»Die Reiterei der Königin ist ein Eliteregiment; die Offiziere sind allesamt Adelige. Die Soldaten müssen ihre eigenen Pferde mitbringen und ihre Fähigkeiten als Reiter und Bogenschützen unter Beweis stellen, folglich stammen die meisten
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