Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
ebenfalls aus wohlhabenden Familien. Ohne Seregils Hilfe hätte ich nie und nimmer ein Patent erhalten. Aber Elite hin, Elite her, du solltest mal sehen, wie einige der jungen Blaublüter vom Pferd purzeln, wenn sie im Reiten versuchen, das Schwert zu ziehen! Ich kann dir sagen, noch nie wußte ich sosehr wie jetzt zu schätzen, was Vater mir beigebracht hat. Feldwebel Braknil glaubt, Hauptmann Myrhini will mich nach Ende meiner Ausbildung in ihrem Trupp behalten. Ich werde dreißig Reiter unter mir haben. Aber jetzt erzähl mal von dir. Ich nehme an, Seregil hält dich ganz schön auf Trab, oder?«
»O ja.« Alec verdrehte die Augen. »Ich glaube, ich habe die ganze Woche höchstens zehn Stunden Schlaf abbekommen. Wenn wir nicht gerade mit Händlern feilschen oder zu irgendeiner merkwürdigen Veranstaltung gehen, läßt er mich die halbe Nacht königliche Stammbäume lernen. Ich glaube, insgeheim will er einen Schriftgelehrten aus mir machen.«
Eine kleine Pause entstand, die Alec spüren ließ, wie sehr sie sich auf ihren unterschiedlichen Lebenswegen voneinander entfernten. Er brannte darauf, Beka von den nächtlichen Abenteuern zu erzählen, doch Seregil war unerbittlich, wenn es um Geheimhaltung ging; kein Sterbenswörtchen durfte den Kreis der Wächter verlassen. Irgendwann, dachte er, sollte Nysander auch Beka darin aufnehmen.
Als er aufschaute, stellte er fest, daß sie ihn mit einem leichten Lächeln auf den Lippen musterte. Dabei drängte sich ihm der Gedanke auf, daß sie, nachdem sie zwischen Micum und Seregil aufgewachsen war, vermutlich eine recht gute Vorstellung von seinem geheimen Leben hatte.
»Hab’ ich dir schon erzählt, daß Seregil mir Aurënfaieisch beibringt?« fragte er in dem Bestreben, einen gemeinsamen Gesprächsstoff zu finden.
»Nös eyir?«
Er lachte. »Dir auch?«
»O ja. Elsbet und ich haben ihn ständig dazu genötigt, uns zu unterrichten, wenn er auf Besuch bei uns war. Natürlich kommt Elsbet wesentlich besser damit zurecht, aber ein bißchen was kann ich auch. Ich glaube, man braucht es auch. Unter den Adeligen gilt Aurënfaieisch als die Modesprache schlechthin.«
»Seregil meint, die meisten hören sich dabei an, als redeten sie durch einen feuchten Lederlappen. Er ist sehr dahinter, daß meine Aussprache ordentlich ist. Makir y’torus eyair. Was hältst du davon?«
»Korveu tak melilira. Afarya tös hara’beniel?« erwiderte sie, wirbelte ihr Pferd herum und trat es in den Galopp.
Alec nahm an, daß die Äußerung entweder eine Beleidigung oder eine Herausforderung zu einem weiteren Wettrennen bedeutete, und preschte hinter ihr her.
Vor Seregils Schlafzimmerfenstern hielt gerade die Abenddämmerung Einzug, als Alec mit roten Wangen und im Haar schmelzenden Schnee hereinspazierte. Der würzige Duft eines frischen Meereswindes haftete noch an ihm.
»Bitte sag, daß wir uns heute abend nicht fein herausputzen müssen!« bettelte er und ließ sich zu Seregils Füßen auf die Brücke neben dem Kamin plumpsen.
Seregil legte sein Buch beiseite und streckte sich träge. »Du siehst aus, als hättest du einen vergnüglichen Nachmittag verbracht.«
»Wir sind meilenweit geritten! Ich hätte den Bogen mitnehmen sollen – letzten Endes sind wir in den Hügeln gelandet, und überall rannten Kaninchen herum.«
»Ich habe vielleicht eine andere Jagd für dich.« Seregil zog eine dünne Schriftrolle aus dem Gürtel hervor und schwenkte sie mit zwei Fingern vor Alecs Nase. »Das hier wurde in der Schwarzen Feder für die Katze von Rhíminee abgegeben. Wie es scheint, sind Lady Isara ein paar heikle Briefe abhanden gekommen, und die will sie wiederhaben. Sie hält Baron Makrins Arbeitszimmer für einen guten Ort, um mit der Suche zu beginnen.«
»Heute nacht?« fragte Alec, der seine Erschöpfung mit einem Schlag vergaß.
»Ich glaube, das wäre am besten. Schließlich handelt es sich um einen ganz gewöhnlichen Einbruch, nichts Außergewöhnliches. Die Zeit bis Mitternacht vergeht rasch. Wir müssen zwar warten, bis sich alle im Haus schlafen gelegt haben, aber ich will keinen Augenblick länger in der Kälte zubringen müssen als notwendig.«
Der Wind zerrte an ihren Umhängen, als Seregil und Alec zur an der Westseite des Adelsviertels gelegenen Villa des Barons unterwegs waren. Sie trugen grobe Arbeiterkittel und alte Reiseumhänge, unter denen sie die Schwerter, nach außen hin unsichtbar, über den Rücken geschlungen hatten.
Sie hatten erst wenige
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