Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Teil war in Mycena während der Schlachten im Hochsommer verfaßt worden. Zu dem Zeitpunkt hatte sich dem Regiment eine Truppe Aurënfaieischer Zauberer angeschlossen. Dieser Schilderung folgte eine fesselnde Zeile über die »Totenbeschwörer des Feindes«, der Rest der Seite jedoch war zerstört worden.
Leise vor sich hin murmelnd, blätterte Seregil die übrigen Bögen durch. »Ah, hier geht’s weiter. Ein Teil davon fehlt, aber es beginnt so: ›… und unsere Zauberer wurden an die Front geschickt, vor die Reiterei. Der skalanische Hauptmann stieß erst vor zwei Tagen mit jenen feindlichen Truppen zusammen und kann nicht über sie sprechen, ohne zu erblassen und zu erzittern. Britiel í Kor übersetzte uns seine Worte und meinte, er spräche über Tote, die sich vom Schlachtfeld erhoben, um gegen die Lebenden zu kämpfen.‹«
»Genau wie in den Legenden«, flüsterte Alec vor sich hin und vergaß einen Augenblick, daß es sich um einen Tatsachenbericht und keine Geschichte eines Barden handelte.
»›Mittlerweile haben wir diese Schilderung zu oft gehört, um den skalanischen Hauptmann leichthin als wahnsinnig abzutun‹«, las Seregil weiter. »›Er behauptet, Plenimar hätte einen entsetzlichen Kriegsgott. Wir haben gehört, wie verwundete Feinde Vatharna anriefen. Nun erfahren wir, daß dies ihre Bezeichnung für einen Gott ist, dessen Namen selbst sie nicht aussprechen. Ebensowenig die Skalaner; sie sprechen statt dessen voller Haß vom Verzehrer des …‹«
Jäh verstummte Seregil.
»Verzehrer des Todes!« beendete Alec den Satz für ihn und rappelte sich auf die Knie. »So heißt es doch, oder? Genau wie in der Prophezeiung am Sakor-Tempel. Wir müssen Nysander finden. Dieser Verzehrer des Todes muß dieser unheilverheißende Totengott sein, von dem du mir erzählt hast, dieser Seri …«
Die Seiten stoben in alle Richtungen, als Seregil vorhechtete und eine Hand auf Alecs Mund preßte.
»Nicht!« zischte er mit kalkweißem Gesicht.
Alec verharrte wie versteinert und starrte erschrocken zu ihm auf.
Zittrig stieß Seregil den Atem aus, ließ die Hand auf Alecs Schulter sinken und umklammerte sie fest. »Tut mir leid. Ich wollte dir keine Angst einjagen.«
»Was ist denn los.«
»Sei eine Minute still; ich muß nachdenken.«
Seregil fühlte sich, als hätte sich unvermittelt ein schwarzer Abgrund vor ihnen aufgetan.
Seriamaius.
- wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen dessen weitergibst, was ich dir gleich offenbare, muß ich euch alle töten.
- stimm ein in unser Lied, das einzige Lied. Für den Wundersamen, den Verzehrer des Todes -
Einen Augenblick lang war das einzige, das einen Sinn zu ergeben schien, die Berührung von Alecs Schulter, der warme Hauch der Haare des Jungen, als sie über Seregils Hand strichen.
Erinnerungen schossen aus seinem Gedächtnis empor und drohten, sich auf gefährliche Weise in ein Muster zu fügen, das Seregil nicht sehen wollte.
Das Palimpsest, das von einem »Wundersamen« erzählte und zu einer von Toten umgebenen Krone führte. Micums gräßliche Entdeckung im Fen-Gebirge.
Der zerschlissene Lederbeutel, den Nysander verbrannt hatte. Und die Münze, diese trügerisch schlichte Holzscheibe, die ihn um ein Haar getötet hätte, getötet durch Wahnsinn und Träume – Träume von einer kahlen Ebene und einer Gestalt mit goldener Haut, die ihn umklammert und ein einzelnes blaues Auge von ihm fordert, das aus einer Wunde über Seregils Herz blinzelt. Stimmen singen – sie hallen über die kahle Ebene und durch die Tiefen einer Gebirgshöhle, während Blut auf dem Eis eine Lache bildet. Nysanders Drohung – eine Warnung?
»Seregil, das tut weh.«
Alecs leise, angespannte Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück; er ertappte sich dabei, die Schulter des Jungen krampfhaft zu drücken. Hastig ließ er los und lehnte sich zurück.
Alecs kalte Finger schlossen sich um die seinen. »Was hast du? Du siehst aus, als wärst du gerade deinem eigenen Geist begegnet.«
Ein Schmerz der Verzweiflung versetzte Seregil einen Stich, als er in jene dunkelblauen Augen hinabblickte.
wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen weitergibst
Verflucht sollst du sein, Nysander!
»Ich kann dir nichts sagen, talí, weil ich ja doch lügen müßte«, erwiderte er und fühlte sich plötzlich unsagbar niedergeschlagen. »Ich muß nun etwas tun, und du wirst dabei zusehen und kein Wort dazu sagen.«
Seregil ergriff die letzte Seite des Tagebuches, knüllte sie zu einem
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