Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
festen Ball und warf sie ins Feuer.
Alec wippte auf den Fußballen vor und zurück und beobachtete schweigend und bestürzt, wie das Pergament in Flammen aufging. Nachdem es verbrannt war, stocherte Seregil die Asche mit dem Schürhaken zu Staub.
»Aber was ist mit Nysander?« fragte Alec. »Was wirst du ihm sagen?«
»Gar nichts, und du auch nicht.«
»Aber …«
»Wir hintergehen ihn nicht.« Seregil packte Alec – diesmal sanfter – an den Schultern und zog ihn dicht vor sich. »Meinen Eid darauf. Ich glaube, er weiß bereits, was wir gerade erfahren haben, aber er kann nicht wissen, daß auch du es weißt. Du darfst erst darüber reden, wenn ich dir sage, daß keine Gefahr mehr besteht. Verstanden?«
»Noch mehr Geheimnisse«, meinte Alec, wobei er ernst und unglücklich wirkte.
»Ja, noch mehr Geheimnisse. In diesem Fall brauche ich deinen Schwur. Kannst du ihn ablegen?«
Eine lange Weile starrte Alec an Seregil vorbei ins Feuer, dann schaute er ihm in die Augen und antwortete in stockendem Aurënfaieisch: »Rei phöril tös tókun meh brithir, vri sh’ruit’ya.«
Schleuderst du mir auch den Dolch in die Augen, zucken werde ich nicht. Ein feierlicher Eid, den auch Seregil ihm vor einiger Zeit geschworen hatte.
Nun stieß Seregil ein kurzes, erleichtertes Lachen aus. »Danke. Wenn du nichts dagegen hast, lege ich mich jetzt ein bißchen hin. Du könntest ja inzwischen die Bücher durchschmökern, die wir gefunden haben.«
Wortlos erhob sich Alec zum Gehen. An der Tür aber hielt er inne und schaute zurück zu Seregil, der immer noch am Feuer saß.
»Was bedeutet talí? Ist das Aurënfaieisch?«
»Talí?« Ein Abklatsch des alten Grinsens spielte um einen von Seregils Mundwinkel. »Ja, es ist ein Aurënfaieisches Kosewort, ziemlich altmodisch, etwa wie ›Liebster‹. Wo hast du es denn gehört?«
»Ich dachte …« Alec betrachtete seinen Freund mit fragendem Blick, dann schüttelte er den Kopf. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich bei einem der Salons. Schlaf gut, Seregil.«
»Du auch.« Nachdem Alec gegangen war, trat Seregil ans Fenster, lehnte die Stirn gegen die kalte Scheibe und starrte hinab in den dunklen Garten.
Stein in Eis. Geheimnisse in Geheimnissen. Schweigen in noch größerem Schweigen.
In all der Zeit, die er Nysander bereits kannte, hatte er sich ihm noch nie so fremd gefühlt. Oder so allein.
Einige Tage verstrichen, bevor Alec endgültig klar wurde, daß über die Angelegenheit kein Wort mehr verloren werden würde, was ihn, ungeachtet seines Eids, zutiefst beunruhigte. Das Schweigen gegenüber dem Magier schien eine kleine, frostige Kluft in eine bisher durch und durch herzliche und ungetrübte Beziehung zu reißen. Zum ersten Mal seit Monaten ertappte er sich dabei, an Seregils Treue zu zweifeln.
Sosehr er sich auch bemühte, derlei Gedanken aus dem Kopf zu verbannen, sie nagten unaufhörlich an ihm, bis er letztlich damit herausrückte, als sie eines Abends durch das Adelsviertel spazierten.
Er hatte befürchtet, Seregil würde der Frage ausweichen oder ihm zürnen.
Statt dessen schien er diesen Wortwechsel geradezu erwartet zu haben.
»Treue, wie? Das ist eine schwierige Frage für ein vernunftbegabtes Wesen. Wenn du wissen willst, ob ich Nysander immer noch treu ergeben bin, dann lautet die Antwort ja, und zwar solange ich Vertrauen in seine Ehre habe. Dasselbe gilt für jeden meiner Freunde.«
»Aber vertraust du ihm denn auch noch?« hakte Alec nach.
»Das tue ich, obwohl er es mir in letzter Zeit nicht leicht macht. Du bist viel zu schlau, um zu übersehen, daß unausgesprochene Dinge zwischen ihm und mir hängen. Ich gebe mir Mühe, mich in dieser Hinsicht in Geduld zu üben, und dasselbe mußt du auch tun. Aber vielleicht ist es gar nicht das, worum es hier geht. Verlierst du das Vertrauen in mich?«
»Nein!« rief Alec hastig aus und wußte im selben Augenblick, daß er die Wahrheit sprach. »Ich versuche nur, dich zu verstehen.«
»Tja, wie gesagt, Treue ist ein schwieriges Kapitel. Würdest du beispielsweise meinen, daß du, Nysander und ich Königin Idrilain treu ergeben sind und stets zum Wohle Skalas handeln?«
»So habe ich es immer betrachtet.«
»Aber was, wenn die Königin uns auftragen würde, Micum zum Wohle Skalas Schaden zuzufügen? Sollte ich dann ihr oder ihm die Treue halten?«
»Micum«, antwortete Alec ohne zu zögern.
»Und was, wenn Micum ohne unser Wissen Verrat an Skala begangen hätte? Was dann?«
»Das ist doch lächerlich!«
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