Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Lächeln lauerte Gier. In dieser Hinsicht ähnelte sie Thero, doch Thero war an das Gesetz der Orëska gebunden; sie hingegen nicht.
Der Umstand, daß sie aus seinem Bett unmittelbar in Theros gesprungen war, beunruhigte Nysander in einer Weise, die nichts mit früheren Gefühlen zu tun hatte, wenngleich er außerstande gewesen war, dies Thero glaubhaft zu machen. Nach zwei peinlichen, unerfreulichen Versuchen hatte Nysander die Angelegenheit fallengelassen.
Andere Magier hätten ihre Lehrlinge aufgrund solcher Vorkommnisse vielleicht entlassen, das wußte er; doch ungeachtet der wachsenden Unstimmigkeiten zwischen ihnen empfand Nysander nach wie vor größte Achtung gegenüber Thero und weigerte sich, den jungen Mann aufzugeben.
Und zum wiederholten Male gestand er sich in der Stille der Kellergewölbe ein, daß diese Achtung mit der Angst einherging, viele seiner Orëska-Kollegen würden Thero mit offenen Armen aufnehmen, sollte er ihn ziehen lassen. So manch einer beschrieb mit harschen Worten, wie Nysander mit dem begabten jungen Zauberer umsprang und vertrat die Meinung, der eigenbrötlerische Greis aus dem Ostturm verschwende Theros Talent nur. Schließlich hatte er bereits einen Lehrling verschlissen. Kein Wunder, daß Thero unzufrieden wirkte.
Aber Nysander kannte seinen Schützling besser als sie alle und glaubte mit jeder Faser seines Körpers, daß der junge Hexer sich letzten Endes selbst zerstören würde, ließe man ihm bereits jetzt seinen Kopf. Oh, selbstverständlich würde er sein Handwerk erlernen, und wahrscheinlich in kaum der Hälfte der Zeit, die andere benötigten. Das stellte einen Teil des Problems dar. Thero war ein so vortrefflicher Schüler, daß die meisten Lehrer ihm freudig all ihre Kenntnisse einflößen und ihn flugs durch die verschiedenen Ebenen zu wahrer Macht hinführen würden.
Doch es bedurfte mehr als bloß eines scharfen Verstandes und vollkommener Fähigkeiten, um einen so mächtigen Zauberer zu verkörpern, wie Thero zweifellos einer werden würde. Ohne Weisheit, Geduld und ein mitfühlendes Herz konnte derselbe scharfe Verstand unaussprechliche Verwüstung anrichten. Deshalb behielt er Thero bei sich, ständig in der Hoffnung, ihn zu verändern, ständig in der Angst, ihn zu verlieren.
Es gab Augenblicke, wie in jener Nacht, als er Thero dabei überraschte, wie er sich um Seregils Verletzungen nach dessen Mißgeschick in den Abwasserkanälen kümmerte, da sah Nysander einen Hoffnungsschimmer – Anzeichen dafür, daß Thero vielleicht doch noch verstehen würde, was Nysander neben dem bloßen Erlernen von Magie von ihm verlangte.
Als er die Tür zum untersten Gewölbe erreichte, schüttelte er die trübsinnigen Gedanken mühsam ab und hastete weiter.
Nur wenige Menschen hatten einen Grund, dieses unterste Gewölbe aufzusuchen, das den Orëska seit ewigen Zeiten als Speicher für Vergessenes, Nutzloses und Gefährliches diente. Nun standen viele der Lagerräume leer oder waren vollgestopft mit schimmligen Kisten. Andere Türen präsentierten sich zugemauert und gesäumt von Beschwörungen in Runenschrift und Warnungen. Während Nysander weiterging und die feuchten Bodenziegel den Widerhall seiner Schritte dämpften, vernahm er den vollen, hohen Klang der Schale, den nur Menschen hörten, denen man beigebracht hatte, auf ihn zu lauschen. Das Geräusch wirkte wesentlich lauter als es einst gewesen war.
Die hölzerne Scheibe hatte wenig verändert; ohne die übrigen sieben, von denen Nysander wußte, daß sie irgendwo auf der Welt existierten, war ihre Macht unvollständig. Mit der Kristallkrone hingegen verhielt es sich anders. Seit er sie hier abgelegt hatte, war der Klang der Schale zunehmend stärker geworden, und damit auch Nysanders Alpträume.
Und die Bewegungen der Hände des Totenbeschwörers im Museum.
Wie Seregil nur mit Hilfe seiner inneren magischen Sperre den Einfluß der Scheibe überlebt hatte, war Nysander nach wie vor ein Rätsel. Ebenso schleierhaft war Nysander, weshalb seine sorgfältig vorbereiteten Zaubersprüche und -formeln Seregil nur so wenig Schutz vor der Wirkung der Krone geboten hatten. Im ersten Fall hätte er eigentlich umkommen, im zweiten Fall rundum geschützt sein müssen, statt dessen hatte er beide Male Verletzungen davongetragen, aber überlebt.
All das, in Verbindung mit den Worten, die Illiors Orakel zu Seregil gesprochen hatte, ließ in Nysander die unangenehme Überzeugung keimen, daß hier wesentlich mehr als bloßer
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