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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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hervor. »Die lockere Fliese habe ich durch Zufall entdeckt, und die anderen Dinge waren bereits dort. Kindheitsschätze.« Eine hübsche Schatulle mit aurënfaiischen Intarsien folgte dem Kristall, und in ihr entdeckte Alec eine Halskette aus roten und blauen Perlen und einen Falkenschädel. Seregil legte einen bemalten Holzdrachen mit vergoldeten Flügeln neben der Schatulle ab, dann ein kleines Portrait eines aurënfaiischen Paares, das auf Elfenbein gemalt war. Schließlich, mit großer Sorgfalt, zog er eine zierliche Holzpuppe hervor. Ihre großen schwarzen Augen und die vollen Lippen waren aufgemalt, aber das Haar war echt – lange, kunstvolle schwarze Locken.
    »Bei allen Vieren!« Ehrfürchtig berührte Alec das Haar. »Denkst du, sie stammt von den Bash’wai?«
    Noch immer hinter dem Bett kniend, berührte Seregil die Puppe offensichtlich bewegt und nickte. »Die Puppe und vielleicht auch die Halskette.«
    »Und das hast du nie irgendjemandem erzählt?«
    »Nur dir.« Sorgsam legte Seregil alles bis auf den Enterhaken zurück. »Es wäre nichts Besonderes mehr gewesen, wenn noch jemand davon gewusst hätte.«
    Als er sich erhob, bedachte er Alec mit einem schiefen Grinsen. »Und du weißt, wie gut ich ein Geheimnis bewahren kann.«
    Alec löste das Seil, an dem der Enterhaken hing. Es war noch immer geschmeidig. In regelmäßigen Abständen waren Knoten, um beim Klettern Halt zu geben. »Es ist zu kurz, um damit aus dem Fenster zu klettern.«
    »Ich bin enttäuscht von dir, Talí«, spottete Seregil, während er das Seil auf den Balkon trug. Gleich beim ersten Wurf verfing sich der Haken an der Kante des Daches über ihnen. Er winkte Alec zum Abschied zu und hangelte sich außer Sichtweite.
    Alec hatte wohl verstanden, und er nahm die Herausforderung an und folgte Seregil auf das Dach.
    »Auf diese Weise habe ich mich immer aus meinem Zimmer geschlichen. Dann bin ich über die Hintertreppe aus dem Haus geflüchtet. Oder Kheeta und ich haben uns hier oben getroffen und die Süßigkeiten getauscht, die wir aus der Küche gemopst hatten. Später war es dann Bier oder Turab. Im Nachhinein bin ich einigermaßen erstaunt, dass ich mir nicht in einer dieser Nächte auf dem Rückweg den Hals gebrochen habe.« Er sah sich einen Augenblick um, ehe er in schallendes Gelächter ausbrach. »Einmal waren wir zu sechst hier oben, breit wie die Wassermolche, als plötzlich derjenige, der Schmiere stand, hörte, dass mein Vater auf dem Weg hier herauf war. In dieser Nacht sind wir alle das Seil hinabgeklettert und haben uns bis zur Morgendämmerung in meinem Zimmer versteckt.«
    Alec lächelte, wenngleich er einen weiteren Stich des Neids nicht ganz verhehlen konnte, ganz besonders nach der Erwähnung von Kheeta. Er war während des größten Teils seines Lebens seinem Vater durch dessen Nomadenleben gefolgt und hatte weder ein richtiges Zuhause noch Freunde gehabt. Wieder dachte er an die Rhui’auros, und im Stillen gelobte er, dass er, noch bevor die Reise vorüber wäre, so viel wie möglich über die unbekannte Seite seiner eigenen Herkunft in Erfahrung bringen würde.
    Seregil musste seinen Gefühlswirrwarr erahnt haben, denn plötzlich war er dicht neben Alec und drückte ihm einen turabschwangeren Kuss auf die Lippen. »Das ist eine der wenigen Erinnerungen, die mir geblieben sind und die nicht schmerzen«, sagte er.
    »Sollen wir auf dem gleichen Wege runtergehen, auf dem wir heraufgekommen sind?«, fragte Alec, um das Thema zu wechseln.
    »Warum nicht. Wir sind doch so gut wie nüchtern.«
    Zurück auf dem Balkon ruckte Seregil kurz an dem Seil, sodass sich der Haken löste. Dann wickelte er das Seil wieder auf und legte es zurück in das Versteck mit den übrigen Schätzen seiner Kindheit.
    »Du lässt alles hier für das nächste Kind, das eines Tages dieses Geheimversteck entdecken mag?«, fragte Alec.
    »So kommt es mir richtig vor.« Seregil legte die Fliese zurück an ihren Platz. »Es tut gut zu wissen, dass es auch hier etwas gibt, das sich nicht verändert hat.«
    Während sie wieder zu den anderen gingen, dachte Alec über das Spielzeug in seinem dunklen Versteck nach. Irgendwie schien es gut zu dem sonderbaren, komplizierten Puzzle zu passen, aus dem Seregils Lebenslauf zusammengesetzt war, gleichsam ein verkleinertes Äquivalent zu den Schätzen in den gleichfalls verborgenen Räumen, die sie im Jungen Hahn bewohnt hatten oder zu den unerwarteten Versatzstücken seiner eigenen Vergangenheit, die

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