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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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Türen, die in dem schmalen Eingangskorridor zu beiden Seiten in die Läden führten, standen offen. Aina konnte jedoch niemanden erkennen, auch keinen Kunden. Wenige Schritte weiter öffnete sich der Gang zu einer imposanten Diele. Die breite, von einer mächtigen Dielensäule aus Marmorimitat gestützte mehrläufige Treppe beherrschte den nur sparsam erleuchteten hohen Raum. Sie führte auf eine obere, von einem imposanten Hausbaum mit einem verzierten Unterzug getragene Innengalerie. Man konnte von unten die Fenster und Zimmertüren von mehreren Gemächern im ersten Geschoss erkennen.
    Links grenzte der Goldschmiedeladen an die ehemalige Küche an, die jetzt als eine Goldschmiedewerkstatt genutzt wurde.
    Die Uhrenwerkstatt lag auf der gegenüberliegenden Seite, gleich neben dem Uhrenverkaufsraum. Im Hintergrund führte eine Tür zu weiteren Gemächern. Viele vornehme Bürgerhäuser beherbergten dort früher ein Landschaftszimmer. Der Name kam weniger daher, dass man von hier einen Ausblick in den schmalen Garten hatte. Vielmehr leitete sich das Wort von den bemalten oder mit Tapeten bespannten Wänden ab, die mit Allegorien versetzte, luftige Landschaften zeigten. Auf dem mit Kalksteinplatten ausgelegten Dielenboden standen, wie stumme Zeugen einer vergangenen Epoche, verschiedene, teilweise riesige Uhrenkästen. Vielen fehlte das Innenleben, sodass sie wie gespenstische Puppen aus einem Gruselkabinett aussahen.
    Aina fröstelte ein wenig in dieser muffigen, kalten und tendenziell staubigen Atmosphäre.
    »Ist da jemand?«
    Ihr schüchternes Rufen blieb erfolglos. Dann entdeckte sie neben der Säule eine Handklingel. Das Echo einer fernen Glocke drang an ihr Ohr, und es dauerte ein wenig, bis sich eine der hinteren Türen öffnete.
    Ein mürrisch dreinschauender junger Mann erschien und wischte sich die Hände umständlich an einer Lederschürze ab. Eine Baskenmütze versuchte, sein strohfarbenes, ungepflegtes Haar zu bändigen.
    Sicher der Uhrmachergeselle, vermutete Aina.
    »Ja?« Der Bursche schien nicht besonders redselig zu sein.
    »Entschuldigen Sie die Störung. Aber ich bin mit Frau Ampoinimera zum Musikmachen verabredet.«
    Der Geselle schloss hinter sich die Tür. Er hatte gerade an einem neuen Uhrwerk des Meisters gearbeitet, einer in der Art der Salome orientalisch gekleideten Marionettenpuppe, die einem Menschen täuschend ähnlich war. Sie hielt ein Tablett in den Händen, auf dem sich ein kunstvoll verzierter Regulator befand, und sie konnte beim Schlag zwölf eine vollendete Pirouette drehen.
    Der junge Mann schlurfte langsam nach vorn an Aina vorbei, musterte sie kurz von oben bis unten, drehte sich um und fing an, aus einem der Uhrenkästen ein Räderwerk auszubauen.
    »Oben!«, sagte er, ohne sich ihr zuzuwenden. Zu mehr schien es bei ihm nicht zu reichen.
    Verlegen stieg Aina die Treppe hinauf und bog in eine der beiden Galerien ein. Sie hatte keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte.
    Plötzlich öffnete sich direkt vor ihr eine Tür, als hätte sie eine Lichtschranke ausgelöst. Vor ihr dehnte sich ein lichter Wohnraum im Stil der Beletage aus. Der Gegensatz zur dunklen Diele konnte nicht größer sein. Durch freundliche Fensterflügel flutete das Tageslicht von der Straße herein. Helle Vorhänge wehten zärtlich gegen Blumenkübel.
    Palme, Venusfliegenfalle, Wüstenrose, Fledermausblume, Paradiesvogelblume. Es duftete nach Vanille.
    Hohe Pfeilerspiegel zwischen den Fenstern und Spiegelflächen in der gegenüberliegenden Wand erzeugten eine Illusion der Unendlichkeit. Die textilen Wandbespannungen an den Seiten zeigten Szenen aus dem Fernen Osten.
    Die Möblierung bestand lediglich aus einem kleinen persischen Rundtisch, dessen Oberfläche kunstvoll mit Perlmutt besetzt war, begleitet von drei passenden Stühlen. In der Mitte des Raumes stand ein schwarz glänzender Salonflügel, vor dem, vertieft in ihre Notenlektüre, die Hausherrin saß. Die helle Fensterfront spiegelte sich in der Innenseite des offenen Flügeldeckels und verstärkte die Raumillusion.
    »Tritt näher und setz dich!« Das Du klang, als würde sie Aina schon lange kennen.
    »Vielen Dank für Ihre freundliche Einladung. »Aina wagte es nicht, die Dame zu duzen.
    »Mein Mann lässt sich entschuldigen. Er hätte dich gern kennengelernt, aber er muss die goldene Kette für den Ratsvorsteher rechtzeitig fertig bekommen.«
    Merkwürdig, wunderte sich Aina. Vorhin hatte ich doch niemanden in der Werkstatt gesehen.
    »Ehrlich

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