Schattengold
gesagt teilt er nicht immer meinen Musikgeschmack. Dann sucht er gern einen Vorwand, um nicht höflich zuhören zu müssen«.
Rana lachte kurz auf, wobei ihr die Locken wieder ins Gesicht fielen. Aina fand sie faszinierend. Sie spürte, wie das rotes Bindi auf ihrer Stirn brannte.
»Ich habe die Noten von Léo Delibes mitgebracht, in der berühmten Flötenversion von Ary van Leeuwen. Aber ich glaube, das ist noch etwas zu schwer für mich. – Was halten Sie von diesem Mozartlied?«
Frau Ampoinimera beachtete das Angebot gar nicht. Stattdessen legte sie ein paar Notenseiten auf das Klavierpult.
»Wenn du meinst, Mozart sei einfacher, dann hast du eine falsche Vorstellung vom Singen.«
Sie stand auf, betätigte einen Klingelzug neben der Tür und gesellte sich zu Aina an den kleinen Tisch.
»Das Schwere liegt nicht in der Technik, das Schwere liegt in der Gestaltung! – Natürlich geht in der Musik nichts ohne Technik. Die kann man weitgehend erlernen. Aber Technik ohne Gestaltung ist wie ein leeres Uhrengehäuse. Es fehlt der Sinn, es ist tote Zeit.«
Inzwischen war eine etwa 30 Jahre alte Bedienstete, die Kammerzofe, eingetreten.
»Ria, bitte melde meinem Sohn, dass er ins Musikzimmer kommen möge. Er soll seine Flöte mitbringen. – Und servier uns dann bitte einen Litschi-Aperitif.«
Die Zofe warf einen kurzen Blick auf Aina. Hinter ihrem diskreten Lächeln schien sich ein Anflug von Eifersucht zu verstecken.
»Zurück zu Delibes. Le Rossignol – die Nachtigall. Was findest du denn schwer daran?«
»Das ist eine virtuose Koloratur-Arie mit schweren Tonsprüngen und vielen Verzierungen. Und alles klingt so durchsichtig. Ich fürchte, meine Stimme ist dazu noch nicht reif genug.«
»Dass du erst am Anfang deiner Stimmausbildung bist, das weiß ich auch. Aber das ist jetzt nicht entscheidend, da wirst du mit der Zeit schon deinen Weg gehen. Mir käme es darauf an, dass du Musik machst, nicht einfach nur Töne ablieferst. Verstehst du, was ich meine?«
Die Tür ging auf und ein junger Mann mit einer Querflöte in der Hand trat ein. Er trug einen dunkelbraunen Herrenanzug. Das Jackett stand offen. Aina fiel sofort auf, dass der Hosengürtel rechts eingeschlauft war. Das war eigentlich nur bei Frauen üblich. Der wohlgeformte dunkelbraune Lockenkopf erinnerte sie spontan an Michelangelos David.
In seinem Alter sollte er sich etwas sportlicher kleiden, dachte sie.
»Schön, dass du Zeit für uns hast.« Frau Ampoinimera stand auf, ging auf ihren Sohn zu, hakte ihn unter und führte ihn zum Tisch.
»Mein Sohn Radamo.«
Aina gefielen die dunklen, magisch offenen Augen, mit denen er sie aufmerksam anschaute. Unwillkürlich hatte sie das Gefühl, hypnotisiert zu werden.
Es entwickelte sich ein kurzes oberflächliches Gespräch, zu dem Radamo nur wenig beisteuerte. Komisch, der ist genauso wortkarg wie der Uhrmachergeselle vorhin. Scheint wohl für die Männer dieses Hauses typisch zu sein, ging es Aina durch den Kopf.
Die Zofe brachte dezent den Aperitif. Man nippte ein wenig und gruppierte sich zum Musizieren um den Flügel.
Radamo spielte seinen Flötenteil gut. Aina beeindruckte seine Musikalität. Wie konnte ein so dandyhaft erscheinender junger Mann, der allenfalls dürftigen Small Talk zustande brachte, seinem Instrument derartig intensive Gefühle und sensible Klänge entlocken?
Rana Ampoinimera hatte nur wenige einfache Akkorde zu spielen, führte damit aber das Trio wie eine Dirigentin an. Sie achtete peinlichst genau auf die Einhaltung des Zeitmaßes und bestimmte mit kleinen Gesten die Ausführung der Fermaten.
Die ersten Takte liefen für die junge Sopranistin ganz gut, und sie begann, Selbstvertrauen zu gewinnen. Dann kam aber die gefürchtete Stelle, in der sie mit der Flöte im Duett singen musste. Gleich beim dritten Ton, dem zweigestrichenen h, brach ihr vor Aufregung die Stimme weg, und sie verpatzte dadurch den folgenden Zwiegesang mit der Flöte.
Die raffiniert komponierten Echowirkungen waren ihr im Gesangsunterricht schon besser gelungen. Radamo spielte wie ein Profi unbeirrt weiter, als sei nichts geschehen.
Endlich begann das Klaviervorspiel zum Allegretto. Kaum hatte Frau Ampoinimera wieder ihre Hände im Spiel, fing sich Aina. Und bald fügte sich ihre Stimme wie selbstverständlich in die Musik ein. Sie begann, in dem feinen Wechselspiel mit der Querflöte Musizierfreude und innere Wärme zu entwickeln.
Ein paar Passanten draußen auf der Straße blieben stehen und
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