Schattengold
hinten. Er wirkte im Gegenlicht wie ein Gespenst.
»Dachte ich mir es doch! Hier bist du. So leicht entkommst du deinem Wohltäter nicht!«
Aina blieb nichts anderes übrig, als es mit einem schmalen Quergang, der völlig im Dunkeln lag, zu versuchen. Sie erreichte eine Tür.
Als sie sie öffnete, fiel Licht auf eine regungslos in einer Nische des Querganges verharrende Gestalt, von der sie nur die leuchtend stechenden Augen erkennen konnte. Hatte sie jetzt schon zwei Verfolger? Um darüber nachzudenken, blieb keine Zeit.
Gott sei Dank führte diese Tür nach draußen auf eine Feuertreppe. Hastig rannte Aina hinunter, immer drei Stufen gleichzeitig nehmend. Die Eisentür hinter ihr schlug polternd zu.
Der Rentner an der Pforte bemerkte nicht, dass eine aufgeregte und blutende junge Frau hinaus auf die Straße lief.
*
Als die Bühnenarbeiter von ihrer Mittagspause in der Kantine wieder zurück zu ihrer Arbeit kamen, fanden sie die Leiche ihres Opernleiters mit gebrochenem Genick mitten in dem vergessenen Scheinwerferspot liegen.
Sicherlich hatte er oben auf dem Schnürboden das Gleichgewicht verloren und war über das Geländer gestürzt.
Inspektor Kroll, der wenig später eintraf, fand ein Stück Papier in der Hose des Verunglückten: ›kisoa‹ war diesmal darauf zu lesen.
Wieder so ein Wisch, mit dem er nichts anfangen konnte! Sicherlich bestand angesichts der fremden Sprache ein Zusammenhang zu dem Fall des toten Küsters. Aber welcher? Was hatten der Küster und der Operndirektor gemein? Das waren doch zwei Menschen aus völlig unterschiedlichen Welten! »Ich werde Hopfinger noch mal auf die fremde Sprache ansetzen. Schließlich kennen wir jetzt schon zwei Vokabeln.« Den Zettel überließ er einem Mitarbeiter der Spurensicherung. Nachdenklich stand der Inspektor im Rampenlicht. Ein zufällig vorbeigekommener Schauspieler machte ihn darauf aufmerksam, dass ein Schnürsenkel offen war. Verlegen bückte sich Kroll und band ihn wieder.
»Verdammt, warum löst sich dieser Fall nicht so leicht wie mein Schnürsenkel?«, fluchte er.
Dann richtete er sich auf und blickte nach oben. Er ließ den Chefbeleuchter kommen. Dieser stieg mit ihm hinauf zum Schnürboden und musste ihm das Gewirr von Seilzügen, Hebeln und Leitern erklären.
»Bei dem Durcheinander passiert wohl hin und wieder ein Unfall, nicht wahr?«
Der Mann wehrte Kroll mit einem herablassenden Blick ab: »Nein, praktisch hat es noch nie etwas Ernstes gegeben. Die Kollegen, die hier oben arbeiten, kennen sich in ihrem Job aus. Ein Laie wie Sie hat da eigentlich nichts zu suchen.«
»Was und wo ich etwas zu suchen habe, können Sie mir ruhig selbst überlassen!« Kroll holte sich eine seiner Selbstgedrehten aus der Manteltasche, um seinen aufkommenden Ärger mit einem Krümel Tabak zu besänftigen.
»Um Gottes willen«, rief der Mann, »Rauchen ist im Hause streng verboten!«
»Ich will sie ja auch gar nicht anstecken. – Was macht übrigens ein Opernleiter auf dem Schnürboden? Ist das üblich? Ist er denn hier oben nicht auch ein ›Laie‹?«
Der Meister wusste keine Antwort. Darüber hatte er noch nicht nachgedacht. »In der Tat, höchst merkwürdig.«
Endlich waren sich beide mal einig in ihren Gedanken.
An der Kante eines Scheinwerfers entdeckte Kroll eine schwache Blutspur. Ob hier ein Kampf stattgefunden hat? Dann wären die Spuren aber vermutlich ausgeprägter gewesen, überlegte er sich. Auf alle Fälle rief er einen Mitarbeiter von der Spurensicherung herauf, um eine Blutprobe ins Labor schaffen zu lassen. Vielleicht ergab das ja einen Hinweis.
Am Toten und an allen Mitarbeitern des Hauses wurde eine DNA-Analyse durchgeführt. Eine Übereinstimmung mit dem Blut an dem Scheinwerfer konnte ausgeschlossen werden.
Wieder verlief eine Spur im Sande. Aber das trieb Krolls Ehrgeiz nur noch mehr an. Er hasste es, wenn er in seinen Ermittlungen auf der Stelle trat.
Die Theaterdirektion sorgte sich ernsthaft darüber, dass die Abendvorstellung wegen der polizeilichen Spurensicherung ausfallen müsste. Rasch schaffte man den Toten fort. Heute stand Gounods ›Margarete‹ auf dem Programm. Für die Rolle des Valentins, der im vierten Akt als Leiche auf der Bühne liegen sollte, konnte schlecht ein toter Operndirektor herhalten.
Für die Theaterdirektion handelte es sich nur um einen Unfall. Man beschloss, die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Schnürboden bei nächster Gelegenheit zu verbessern.
Aina erzählte niemandem
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