Schattengold
klang das ganz anders, grübelte Aina. Aber sie versuchte, das Beste daraus zu machen.
Manchmal sang der Mann sogar verzückt laut mit. »Wunderschöne Musik«, meinte er am Schluss. »Und dazu deine bezaubernde Stimme. Wirklich schön.«
Er stand auf und musste sich wieder die Hose hochziehen. Dann entledigte er sich seines Jacketts, warf es über den Schreibtisch und baute sich vor Aina auf.
»Wirklich schön – im Ansatz. Weißt du, deine Stimme gefällt mir. Sie hat so was Weiches, wie soll ich sagen …« Er lockerte die quer gestreifte Krawatte.
»Dir fehlt nur noch ein wenig die Technik. Technik ist das A und O auf der Opernbühne. Die Körperhaltung zum Beispiel. Brust raus, Po nach hinten, du weißt schon.« Wieder das abstoßende Lachen.
Wie um seine Theorie zu untermauern, knöpfte er Aina den oberen Teil der Bluse auf.
Die junge Frau wich verlegen einen Schritt zurück, wagte es aber nicht, dem Mann zu widersprechen. Schließlich hätte sie gern die Rolle in der Zauberflöte.
»Und dann vor allem das Zwerchfell. Ich zeig dir das mal.«
Er packte Aina an den Schultern und drehte sie um.
»Nun sing noch mal die Stelle von vorhin: ›Schlupf’ unter die Deck’…‹«
Er schmiegte seine Arme von hinten um Ainas Taille und presste ihren Körper an den seinigen.
»Mehr mit dem Bauch singen. Man muss das spüren, mit jeder Faser.«
Sein Kopf vergrub sich in Ainas Haar. Unangenehmer Mundgeruch drang in ihre Nase. Billiger Sherry. Sie wollte sich losreißen, doch es gelang ihr nicht. Seine rechte Hand wanderte hoch zu ihrem Busen, die andere kroch langsam rockabwärts.
»Meine Gesangslehrerin hat immer gesagt, man muss aus dem Unterleib heraus singen.«
Angewidert trat ihm Aina rückwärts gegen das Schienbein. Er ließ sie verdattert los. Das Vorsingen hatten sich beide anders vorgestellt. Aina konnte keinen Ton herausbringen.
»Jetzt stell dich nicht so an. Ich mache das doch nur für die Kunst!« Er näherte sich ihr erneut und hielt sie am Oberarm fest. Dabei verrutschte der Ärmel der Bluse und er sah ihr Muttermal.
»Ein schönes Tattoo, und an einer so intimen Stelle. Wirklich verführerisch!«
Die Aufdeckung ihres sorgsam gehüteten Geheimnisses empfand Aina noch schlimmer als das ekelhafte Gegrapsche des Mannes. Sie warf ihm die Noten so heftig ins Gesicht, dass er die junge Frau vor Schreck losließ, und rannte aus dem Zimmer.
Doch wohin? Wie kam sie hier am schnellsten wieder raus? Sie öffnete einfach die nächstbeste Tür. Hinter ihr nahm der fluchende Direktor die Verfolgung auf.
Der Kostümfundus, ein Raum voller Kleiderständer und im Stil unterschiedlicher Epochen angezogener Schaufensterpuppen. Rasch versteckte sie sich hinter einer Puppe mit einem monströsen Barockkleid. Der Kerl lief so dicht an ihr vorbei, dass sie deutlich sein grunzendes Murmeln hören konnte.
Schnell flüchtete Aina durch eine rückwärtige Tür. Deren Zuschlagen wurde von einem kräftigen Knall begleitet. Eine Eisentür, so wollte es die Vorschrift für die Zugänge zum seitlichen Bühnenraum. Der Verfolger kannte sich hier natürlich bestens aus und wusste sofort, wo das Biest versteckt war.
Aina rannte erst nach vorn an die Rampe. Der Orchestergraben versperrte ihr den Fluchtweg. Sie drehte sich kurzerhand um und lief quer über die Bühne, auf die ein von den Beleuchtern vergessener Scheinwerfer einen ovalen Lichtspot warf. Fast wäre sie in die Arme ihres Verfolgers gelaufen.
»Ah, schnell bist du! Willst wohl gleich hier bei uns auf der Bühne mit deiner Karriere anfangen? Aber bitte doch nicht ohne deinen Gönner!«
Ohne zu zögern rannte Aina zu der eisernen Wendeltreppe, die sie im letzten Augenblick entdeckte. Ich bin jünger und geschmeidiger, da wird der Fettsack nicht so schnell hinterherkommen!, tröstete sie sich.
Die Treppe führte hoch zum Schnürboden. Ihre Schuhe klapperten auf den Metallstufen wie Maschinengewehrfeuer. In schwindelnder Höhe sah sie sich einem Gewirr von Seilen, Brücken, Leitern und unheimlichen Radkonstruktionen gegenüber. Sie fühlte sich wie ein Zwerg in dem Räderwerk einer gigantischen Uhr.
Heftig stieß sie mit dem Kopf gegen einen der Scheinwerfer. Sie spürte Blut auf der Stirn. Aber wohin jetzt? Plötzlich sah sie, dass sich am Ende des Laufstegs eine Tür öffnete und der Opernleiter heftig schnaubend zum Vorschein kam.
Er war einfach außerhalb des Bühnenbereichs über die Nottreppe nach oben gelaufen. Das Tageslicht beleuchtete ihn von
Weitere Kostenlose Bücher