Schattengold
konstruieren, mit der man in die Vergangenheit reisen kann. Dann würde ich die alten Berichte gewissermaßen zeitnah überprüfen können«, überlegte Adrian Ampoinimera, Goldschmied und Uhrmacher, laut.
»Vor allem interessiert mich der Einbruch in die Akzisenkammer des Rathauses im Jahre 1502, bei dem wertvolle Gegenstände, unter anderem Schmuck, silberne Becher und goldene Ringe aus Südostafrika, entwendet wurden. Damals bat der Rat sogar eine benachbarte Stadt um Mithilfe. Die Goldschmiede, Geldwechsler und Kleinhändler sollten die Augen offen halten und das Anbieten von Hehlerware melden. Seitdem wurde in den Annalen nichts mehr darüber berichtet. – Ich vermute, dass sich da noch ein wahrer Schatz bergen lässt. – Ich müsste meinen künstlichen Vogel einsetzen und ihn in der fraglichen Zeit im Rathaus niederlassen.«
Kapitel 9: Wiegenlied
Wenige Tage später wurde Aina zum Vorsingen ins Theater bestellt. Sie hatte inzwischen bei der Gesangsausbildung gute Fortschritte gemacht und traute sich jetzt zu, eine Nebenrolle in der ›Zauberflöte‹ zu übernehmen. Vielleicht eine der drei Damen der Königin der Nacht.
Eine Sekretärin hatte mit ihr einen Termin für die Mittagszeit vereinbart, um den Betrieb nicht unnötig zu stören. Die Schauspieler und Bühnenarbeiter machten dann in der Kantine unten im Keller ihre Pause.
Nur der Pförtner saß am hinteren Eingang, ein ehemaliger Beleuchter, der sich ein Zubrot zu seiner schmalen Rente verdiente. Er erklärte Aina den Weg. Es war nicht leicht, sich in dem verschachtelten Gebäudekomplex zurechtzufinden.
Im Jahre 1752 kaufte ein wohlhabender Zimmermeister das geräumige Haupthaus mit den elf Fenstern zur Straßenseite hin. Als kulturbewusster Handwerker ließ er es zu einem Theater und Opernhaus umbauen. Es entstand eine geräumige Bühne mit einem Platz für das Orchester davor und einem Zuschauerraum, standesgemäß in ›Parterre‹ (Eintritt 20 Schilling) und ›Galerie‹ (Eintritt acht Schilling) unterteilt. Später schuf man eine Jugendstildecke mit einem gigantischen Kronleuchter und goldenen Sternen auf blauem Grund, umrahmt von einem Kranz aus Blattwerk und Rosetten.
Durch den mit bizarren Eisengerüsten vollgestellten Hof ging es vorbei an der Bühnenwerkstatt, dem Malersaal und der Schneiderei zum Hauptbühnenhaus. Im zweiten Stock befand sich in einem verwinkelten Flur das Büro des Opernleiters.
Aina überprüfte mit einem kleinen Handspiegel ihr Make-up, zupfte sich die Bluse zurecht und klopfte dezent. Ein bisschen Nervosität fühlte sie innerlich, aber lange nicht so, wie damals vor der Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule.
»Entrez!«, rief eine Baritonstimme.
Hinter einem unaufgeräumten Schreibtisch saß ein dicklicher, im Gesicht schon müde aussehender Mittfünfziger. Er qualmte eine Zigarre. Rauchen war für alle im Hause verboten – nur für den Direktor nicht. In der Ecke stand ein mit Noten vollgemülltes Klavier. An der Wand hingen vergilbte Fotos früherer Opernstars. Nur Frauengesichter. Mit einer persönlichen Widmung an ihren ›lieben Meister‹.
»Enchanté, Mademoiselle Cortes! – Hast du gut hergefunden?«
Ganz das Gegenteil zum Direktor der Musikhochschule. – Nicht gerade sympathisch, dachte sich Aina, bevor sie zu einer Antwort ansetzte.
Mit fester Stimme versicherte sie: »Ja, vielen Dank, Herr Direktor. Frau Ampoinimera meinte, ich solle Ihnen bei Gelegenheit etwas vorsingen.«
»Aber natürlich. Frau Ampoinimera hatte schon immer einen scharfen Blick für junge Talente. Und wenn sie auch noch so attraktiv aussehen, kann man doch nicht Nein sagen!« Sein Lachen klang wie das Meckern einer alten Ziege. »Du kannst mich ruhig duzen, das ist am Theater so üblich, Schätzchen. – Was haben wir denn alles auf dem Programm?«
»Ein paar Lieder von Claude Debussy. Oder was von Johannes Brahms.«
»Ja, das ist gut. Das ›Wiegenlied‹. Damit fangen wir an.«
Denn das war nicht so schwer zu spielen, und außerdem konnte er es fast auswendig, weil er es jedes Jahr als Ausklang zur Weihnachtsfeier der Belegschaft mit inbrünstiger Baritonstimme vortrug.
Er stand auf, zog sich wichtigtuerisch die Hose hoch und setzte sich ans Klavier. Dann begann er, mit seinen pummeligen Händen auf der Tastatur herumzukneten. Eine gewaltige Klangwolke durchflutete den kleinen Raum – zu viel Haltepedal. Und zu harter Anschlag. Eigentlich hatte Brahms ein ›piano‹ vorgeschrieben. Bei Frau Ampoinimera
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