Schattengold
Teufel geholt haben soll. Jedoch fand ihn niemand. Er musste in ein anderes Versteck irgendwo in der Nähe gebracht worden sein.
Doch wohin genau? – Das weiß bis heute keiner. Und wenn man den Schatz inzwischen gefunden hätte, wäre die Geschichte längst vergessen worden.«
Kapitel 12: Segel am Horizont
Aina liebte es, in ihrer freien Zeit an die nahe gelegene Küste zu fahren. Vom Steilufer aus konnte sie stundenlang die weißen Segel am Horizont beobachten.
Wo kommen sie her?
Wo gehen sie hin?
Wer steht am Ruder?
Heute herrschte ein freundlicher Tag. So einen schönen Sommer hatte Aina lange nicht mehr erlebt. Sie hatte seit der Aufnahmeprüfung Stunden über Stunden in ihrem kleinen Kämmerchen geübt, und jetzt wollte sie ein wenig ausspannen, ihre Gedanken über das weite Meer schweifen lassen.
Die Sonne glitzerte über der Wasseroberfläche. Der wolkenlose Himmel färbte das Wasser mit einer tiefdunkelblauen Farbe. Der Wind legte die Segelboote gehörig auf die Seite. Man konnte den Schaum der Bugwellen von Weitem sehen.
Etwas neidisch verfolgte Aina die Boote, die Richtung Horizont segelten. Die uralte Sehnsucht nach der Ferne trieb die Schiffe an.
»Wäre ich doch dort an Bord! Ich würde meine Heimat suchen. Ich würde dafür rund um die Erde segeln.«
Noch saß sie aber einsam auf einer Bank oben dicht am Abhang des Steilufers. Sie konnte immer noch nicht das schreckliche Erlebnis im Opernhaus vergessen. Bislang hatte sie es nicht gewagt, sich jemandem anzuvertrauen.
Frau Ampoinimera war sie nach dem gemeinsamen Musizieren nicht mehr über den Weg gelaufen.
Aina fühlte, dass sie seitdem viel an Selbstvertrauen verloren hatte. Vor allem beim Singen spürte sie es. Sie konnte sich nicht mehr richtig auf die Musik konzentrieren. Ihre Gesangslehrerin zeigte in der letzten Zeit deutlich ihre Unzufriedenheit.
Die frische Luft und der herrliche Blick taten ihr gut. Sie beschloss, hinunter zum nahen Hafen zu wandern.
Dort schlenderte sie ziellos an der Uferpromenade herum. Ein paar Ausflugsdampfer sammelten reiselustige Touristen auf. An Bord der Fischerboote wanden sich in den mit Eis aufgefüllten Körben die verendenden Fische.
Kinder tobten am Ufer, stets von den mahnenden Rufen ihrer besorgten Mütter begleitet: »Nicht so nah ans Wasser! Komm sofort zurück!«
Es handelte sich wohl mehr um einen mütterlichen Reflex, denn es konnte eigentlich nichts passieren. Dicht an dicht hatten die Segelboote an der Kaimauer festgemacht. Die Kinder wären allenfalls den Leuten ins Cockpit gefallen und hätten den Picknicktisch mit den Bier- oder Weingläsern umgekippt.
Es gab viele kleine Segelboote mit einem Kajütdach, unter dem man sich nur im Liegen aufhalten konnte. Ihre Segel waren provisorisch am Baum festgezurrt.
Ein paar Wetterkleider und Rettungswesten hingen zum Trocknen darüber. Schließlich blies ein kräftiger Wind aus Nordwest.
Man trank aus Bierdosen.
Andere Boote verfügten über hohe Masten und Rollreffanlagen für die Segel. Hier saß man gemütlich im geräumigen Cockpit und überbot sich mit prahlerischen Geschichten über die Segelabenteuer.
Portweingläser machten die Runde.
Aina interessierte sich sehr für die Schiffsnamen. Von den Booten selbst hatte sie überhaupt keine Ahnung.
›Don Carlos‹, ›Lütten‹, ›Alexandra‹, ›Fare Well‹, ›Navecita‹, ›Godewind‹, ›Navalis‹.
Jedes fünfte Boot hieß ›Carpe diem‹.
›Lebe mit Verstand, kläre den Wein und
beschränke ferne Hoffnung auf kurze Dauer!
Noch während wir reden,
ist die missgünstige Zeit schon entflohen:
Nutze den Tag, und glaube so wenig wie möglich
an den nächsten!‹
Horaz
Insgeheim überlegte sich Aina einen Namen für ihr eigenes imaginäres Boot, das sie später einmal über die Meere hin zu ihrer Heimat führen würde.
Ihr fiel nichts Passendes ein. Vielleicht sollte es besser sein, namenlos sein Ziel zu finden.
Plötzlich stutzte sie. Eines der kleineren Boote hieß ›Aion‹.
Das klang fast wie ihr Vorname.
In dem Boot stand, mit dem Rücken zu ihr, ein junger Mann und machte sich am Großsegel zu schaffen. Dann drehte er sich unvermittelt um. Er hatte eine Leine in der Hand, blickte kurz, von der Sonne geblendet, hoch zur Kaimauer und rief ihr zu: »Mach doch mal am Poller da vorn fest – Webelein!«
Aina fing völlig verdattert das Tauende auf. Mit seinem letzten Wort konnte sie nichts anfangen, weil sie nicht wusste, dass es
Weitere Kostenlose Bücher