Schattengold
nächsten Monat um, nach ›parterre‹. Ihre Bubikopffrisur wurde noch kürzer.
Der ehemalige Philosophielehrer erhielt am folgenden Tag ein anonymes Schreiben: ›Wenn Sie weiterhin öffentlich solche Gotteslästerungen verbreiten, wird Ihre persönliche Zeit schneller zu Ende gehen, als Ihnen lieb ist. Man verleumdet nicht ungestraft die heiligen Gesetze der Götter!‹ Weder er noch der Inspektor, den er sofort einweihte, konnten sich diese Drohung erklären. Wahrscheinlich irgend so ein übler Schülerscherz, vermutete Kroll und fand es nicht der Mühe wert, die Sache weiter zu verfolgen.
Schließlich hatte er im Augenblick andere Sorgen. Es war ihm immer noch nicht gelungen, das Rätsel um die fremden Wörter zu lüften. Obwohl man jetzt schon zwei Vokabeln kannte, war Hopfinger dieser mysteriösen Sprache bisher nicht auf die Spur gekommen. Er entschuldigte seine ergebnislose Recherche mit der Ausrede, dazu bräuchte man noch mehr Worte.
Was Kroll jedoch überhaupt nicht gern hörte, hätte das ja weitere Leichen erfordert.
Und einen Zusammenhang zwischen einem Küster, den kaum einer wirklich kannte, einem Mädchen mit großen Mandelaugen und einem Operndirektor, der vom Schnürboden stürzt, vermochte er bei bestem Willen nicht erkennen.
Kapitel 11: Der Teufel und der Schatz
Inzwischen kehrte der Hochsommer in Lübeck ein. Über den engen Gassen der Stadt hing eine erdrückende Hitzeglocke aus Wärme, Staub und Schweiß.
Viele Bewohner flüchteten um die Mittagszeit in die schattigen Parkanlagen rund um den Stadtgraben. Wer sich mehr leisten konnte, fuhr an die nicht weit gelegene See und faulenzte in einem der zahllosen Strandkörbe.
Diejenigen, die zu Hause bleiben mussten, sperrten alle Fenster weit auf, um Luft schnappen zu können. Daher summte die ganze Innenstadt von den Geräuschen, dem Lachen, dem Singen und dem Fluchen der Bürger.
Der sonst so lebendige Marktplatz blieb wegen der Schwüle menschenleer. In den Geschäften herrschte gähnende Langeweile.
Auch im Laden des Adrian Ampoinimera, Goldschmied und Uhrmacher.
Für den Meister bot sich damit die Gelegenheit, die Arbeit an einer seltsamen Goldschmuckfigur in aller Ruhe fortzusetzen. Er nahm einen feinen Seidenlappen, putzte liebevoll die Figur und hielt sie gegen das Licht. Am Nebentisch hantierte sein Geselle an einem reich verzierten Uhrengestell.
»Weißt du, Raik, es ist schon merkwürdig. Diese Gegenstände, die ich geschaffen habe, sind wie Kinder für mich. Ich liebe sie. Ich würde sie am liebsten gar nicht aus den Händen geben. Für mich sind sie heilige Gegenstände. In ihnen spiegelt sich der Geist meiner Vorfahren. – Den Kunden dienen sie sowieso nur zur eitlen Angeberei.«
Raik litt unter der stickigen Luft in der Werkstatt. Seine Gedanken galten eher der jungen Sängerin als den Sorgen seines Meisters oder dem Feinjustieren der Rädermechanik. So blieb es nicht aus, dass er irgendwann eine zarte Feder zerbrach und das Werkzeug wütend in die Ecke warf.
Herr Ampoinimera ahnte, dass er etwas gegen die sommerliche Unlust seines Gesellen unternehmen musste. Schimpfen oder drohen würde wenig helfen, das wusste er.
Da fiel ihm eine alte Sage ein, die er kürzlich beim Durchstöbern der Stadtarchive entdeckt hatte.
»Lass uns eine kleine Pause machen. Dann geht es hinterher bestimmt viel besser.«
Er setzte sich neben Raik auf einen dreibeinigen Schemel und klopfte ihm väterlich auf die Schulter.
»Sag mal, in welchem Monat bist du geboren?«
»Im Juli. Warum fragen Sie?«
»Juli, das ist gut. Wer im Juli geboren ist, der wird hoch geachtet und beneidet werden und seiner Familie Ehre bringen. So sagen es die Alten. Und die Gesetze der Alten sind unumstößlich. Ich beispielsweise wurde im Monat Mai um Mitternacht geboren. Die Alten sagten, man würde dann ein Wissenschaftler werden. Und es ist eingetroffen, heute bin ich der Herr der Zeit.«
Er lächelte vor sich hin. Raik fand das ein bisschen überheblich, wollte aber seinem Chef nicht widersprechen.
Adrian Ampoinimera legte die Figur, an der er bis eben gearbeitet hatte, in ein mit Samt ausgeschlagenes Etui. Dann nahm er eine kleine goldene Uhr von seinem Arbeitstisch und begann, sie ebenfalls langsam und liebevoll zu putzen.
»Ich werde dir zur Ablenkung eine kleine Geschichte erzählen. Sie soll sich wirklich zugetragen haben, sagt man.«
Wenig begeistert lehnte sich Raik zurück und holte seine Wasserflasche hervor.
Wenn es denn sein muss,
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