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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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Ausstellungskatalog nichts in der Hinsicht. Noch bemerkenswerter fand sie die Tatsache, dass der Besucher trotz des heftigen Regengusses trockene Kleidung und Schuhe trug. Dabei wusste sie doch, dass sie die erste Besucherin des Tages war und es seitdem ununterbrochen geregnet hatte.
    Wie war der hier hereingekommen?
    Leider konnte sie ihren Gedanken nicht weiter verfolgen, denn ihr Gegenüber fuhr mit seinen Belehrungen fort: »Wir verehren diese Figuren. Man bringt sie an der Stirnseite der Gräber an, so ähnlich, wie man hierzulande ein Kruzifix aufstellt. Sie haben einen wichtigen Einfluss auf die Seelenwanderung der Toten. Deswegen ist es eine große Schande und auch eine Gotteslästerung, sie zu stehlen und der Neugierde der Europäer nach dem Fremden zu opfern.«
    Wieso spricht er von ›wir‹? Wie ein Afrikaner sieht er ja nun wirklich nicht aus. Merkwürdiger Kerl!, dachte Judith. Bevor sie etwas erwidern konnte, war der Mann in das obere Stockwerk hinaufgestiegen.
    Frau Svavarson begegnete ihm kein zweites Mal.
    Am nächsten Tag las sie in einer kurzen Zeitungsnotiz, dass die Figur aus Madagaskar gestohlen wurde. Sie erinnerte sich sofort an den merkwürdigen jungen Mann, der sich so fachkundig für die Skulptur interessiert hatte.
    Bestimmt wieder ein Schülerscherz, tat der Erdkundelehrer der Oberschule den Vorfall ab, der sich mit Ostafrika und Madagaskar gut auskannte.
    Von dem Täter fehlte jegliche Spur. Inspektor Kroll wurde nicht benachrichtigt, da der Diebstahl nicht in sein Ressort fiel.

     

Kapitel 14: Schwarze Löcher

    Die letzten kümmerlichen Strahlen der spätsommerlichen Abendsonne verbreiteten eine nostalgische Stimmung im Vorhof des Katharineums, der ältesten Oberschule der Stadt. Dort, wo tagsüber in unübersehbaren Reihen die Fahrräder der Schüler standen, spielte jetzt der Wind mit ein paar achtlos fortgeworfenen Brötchentüten und einem ausgedienten Schummelzettel aus einer Physikklausur. Die Papierreste hatten ihre Funktion erfüllt und waren nun stumme Hinterlassenschaften eines arbeitsreichen Schulalltags.
    Der hinkende Hausmeister fegte mürrisch den Müll zusammen. Heute musste er wieder Überstunden schieben. Der Alte Musikraum war von der Volkshochschule für einen Bildungsabend reserviert worden.
    Bildung hat man in diesen ehrwürdigen Gemäuern schon immer sehr hoch gehalten. In alten Sagen wird sogar berichtet, dass im Mauerwerk des ehemaligen Katharinenklosters der Stein der Weisen eingemauert sei. Gefunden hat ihn bis heute noch niemand. Es scheint sich um ein Märchen zu handeln, denn von Weisheit wurde seither nicht unbedingt jeder Lehrer und auch nicht jeder Schüler des Instituts heimgesucht.
    Heute sind seine Höfe tagsüber eher Schauplatz lauter Eitelkeiten. Jeder einzelne Schüler ist natürlich stolz darauf, Mitglied einer privilegierten Bildungsschicht zu sein, und weiß, dies gelegentlich zur Not ellbogenboxend durchzusetzen.
    Die Lehrer übrigens auch.
    Im Jahre 1590, kurz nachdem sich in den Klostermauern eine Gelehrtenschule etabliert hatte, fand hier ein aufsehenerregender Mord statt. Als in einer dunklen Spätherbstnacht drei Herren des Lehrpersonals von einem fröhlichen Weinabend zu ihren Wohnungen auf dem Gelände der Schule zurückkehrten, fiel eine unbekannte Gestalt über einen der Hauslehrer her und tötete ihn mit einem scharfen Stoßdegen. Der Täter soll noch gerufen haben: »O mein Gott, Herr Präzeptor, es galt ja gar nicht Euch!«
    Er entschwand unerkannt in Richtung Marienkirche.
    Doch das war schon so lange her, dass der Vorfall heute nahezu in Vergessenheit geraten war.
    Nur wenige Zuhörer nahmen an diesem Abend in dem Musikraum der ehrwürdigen Oberschule Platz. Der pensionierte Philosophielehrer hatte zu einem Vortrag über das Thema ›Die Zeit im Schwarzen Loch aus Sicht der Philosophie‹ geladen.
    Der hinkende Hausmeister döste müde in seiner Loge. Ab und zu kontrollierte er die Eintrittskarten.
    Es lag wohl weniger an dem schlechten Wetter, dass die Resonanz eher dürftig ausgefallen war. Das Thema weckte wenig Interesse. Zeit war Zeit und blieb Zeit, solange die Astronomische Uhr in der Marienkirche beruhigend gleichmäßig tickte. Das genügte den meisten Bürgern in Sachen Philosophie.
    Und schwarze Löcher kannte man ohnehin aus dem Stadthaushalt zur Genüge.
    Dabei war allein schon der Raum, in dem der Vortrag stattfand, einen Besuch wert. Das einstige Refektorium der Franziskanermönche beherbergte heute den

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