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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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musste?
    Malfazi war das Ganze zu viel. Er hatte Mühe, sich auch nur
vorzustellen, wie eine Orakelbefragung vonstattengehen sollte. Und er machte
keinen Hehl daraus, dass er «den alten Rosenkavalier», wie er Rosenacker
nannte, «für einen Wahnsinnigen» hielt. Der Wörterbuchgeschichte ernsthaft
Relevanz beizumessen hielt er für absurd.
    «Kannst du dir so was vorstellen?», fragte Sabina, nachdem sie Heini
von dem Besuch bei Rosenacker berichtet hatte.
    «Ich hab nicht den Sinn für so übersinnliches Zeugs», sagte er.
«Aber ich habe auch nicht das absolute Gehör, und andere haben es.»
    Vielleicht hatte er ja recht. Vielleicht verfügten tatsächlich
manche Menschen über einen Sinn für Paranormales, der anderen abging. Ob diese
Leute dann in Glaskugeln schauten, Karten legten oder ein Wörterbuch befragten,
war ja letztlich egal. Immerhin gab es diese Zukunftsseher in allen Kulturen.
Zu allen Zeiten. Warum nicht auch hier und heute?
    «Ich war mal auf einer Esoterikmesse in Zürich», schloss Sabina ihre
Gedanken ab, «und mein Gefühl hat mir damals gesagt: Manche sind Magier, die
meisten sind Betrüger.»
    «Scharlatane gibt es auf jeden Fall», sagte Heini.
    Sabina machte sich sofort daran, die Recherche nach Schlorf
voranzutreiben. Sie überprüfte, ob er eine Facebook-Seite hatte, und fand ein
öffentliches Profil mit wenigen Einträgen. Schlorf hatte seit Dezember keine
Nachrichten hinterlassen. Gemeldet war er in Deutschland, im tiefsten
Schwarzwald, wie sich herausstellte.
    Im Laufe des Nachmittags gelang es ihr, Schlorfs Tante ans Telefon
zu bekommen, auf deren Bauernhof er offenbar wohnte. Sie sagte, dass Christian
seit mehr als sechs Wochen im Wald sei. Er habe sich für den Sommer abgemeldet,
um zu sich selbst zu finden. Wo genau, ob im heimischen Schwarzwald oder
irgendwo am Nordkap, das wisse sie nicht. Der Christian sei schon immer seine
eigenen Wege gegangen. Zumal seit seine Eltern gestorben seien und er bei ihr
gelebt habe.
    Sabina wusste nicht, was sie von dem Gespräch halten sollte. Dass
die Tante es völlig normal fand, dass Schlorf einfach für ein paar Monate
irgendwo in einem Wald verschwand und sich von Waldfrüchten und Bachwasser
ernährte, empfand sie als bizarr. Um die Abstrusität auf die Spitze zu treiben,
nahm sie aus dem Büro ein Wörterbuch mit, kaufte kurz vor Ladenschluss in der
Buchhandlung Kunfermann in Thusis eine Ausgabe des Orakelbuchs I Ging und
besorgte in einem Bastelladen fünfzig kleine Holzstäbe. Mit grönländischer
Volksmusik im Auto fuhr sie nach Hause.
    «Vielen Dank, Herr Rosenacker, ich werde es jetzt versuchen»,
sagte sie und legte das Telefon auf die Station zurück. Sie wollte das
Wörterbuch-Ritual genau so ausführen, wie Rosenacker es ihr beschrieben hatte.
Dem traditionellen I-Ging-Ritual folgend zündete sie ein Räucherstäbchen an und
kniete sich mit dem Gesicht nach Norden gewandt dreimal nieder. Die
neunundvierzig Holzstäbchen in ihrer Hand liess sie über dem Rauch kreisen und
konzentrierte sich, wie vorgesehen, auf eine Frage, die sich um die Perspektive
einer Angelegenheit drehte: Wie geht es mit den Morden
weiter? Das war die Frage, die ihr das Wörterbuchorakel beantworten
sollte: Wie geht es mit den Morden weiter?
    Sie setzte sich so an den Tisch, dass sie nach Süden ausgerichtet war,
und begann mit dem Abzählen der Stäbe. Mit geschlossenen Augen teilte sie sie
in zwei Haufen, einen grösseren rechten und einen kleineren linken. Dann nahm
sie, wie es das I Ging forderte, aus dem rechten Haufen ein Stäbchen heraus und
steckte es sich zwischen den kleinen Finger und den Ringfinger ihrer linken
Hand. Nun reduzierte sie den linken Haufen immer um vier Stäbchen, bis nur noch
drei übrig blieben. Diese drei Stäbe steckte sie zwischen Ringfinger und
Mittelfinger der linken Hand.
    Sie reduzierte auch den rechten Haufen um immer jeweils vier Stäbe,
bis nur noch ein Holzstab übrig blieb. Diesen Stab steckte sie zwischen den
Mittel- und den Zeigefinger der linken Hand. So hatte sie insgesamt fünf Stäbe
zwischen den Fingern ihrer linken Hand. Diese legte sie auf ein Tablett. Dann
nahm sie die restlichen vierundvierzig Stäbchen und teilte sie wieder in zwei
Haufen. Wieder nahm sie ein Stäbchen zwischen ihre Finger und reduzierte dann
nacheinander beide Haufen um jeweils vier, bis nur noch ein paar Stäbchen übrig
blieben.
    Diesmal kamen insgesamt acht Stäbchen als Ergebnis heraus. Diese
legte sie zu den fünf Stäben aufs

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