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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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studiert?», wollte Sabina wissen.
    «In Tübingen. Religion, Philosophie, Psychologie – ach, all
dieses Zeug, von dem ich nichts versteh. Aber er hat’s gut gemacht, unser
Doktor.»
    «Das Christentum mag er ja wohl nicht, aber er interessiert sich
doch schon für alte Religionen, oder?», fragte Sabina.
    «Ja, ja. Aber da reden wir nicht drüber. Wissen Sie, wenn er bei mir
ist, dann lässt er das hochtrabende Zeugs, dann gibt es was Gutes zu essen, und
wir spielen Karten, wenn sein Bruder auch da ist.»
    «Apropos. Wo wohnt denn der Bruder und wie alt ist er?»
    «Der Thomas ist vier Jahre jünger als der Christian. Der sollte
eigentlich meinen Hof übernehmen, so dachte ich mir das, aber er ist Schreiner
geworden. Der wohnt jetzt bei seiner Freundin.»
    «Darf ich denn mal ein Bild vom Thomas sehen?»
    «Ja, da sind sie beide drauf.»
    Die Tante nahm einen Bilderrahmen vom Fenstersims und reichte ihn
Sabina. «Das war vor etwa fünf Jahren.»
    Sabina betrachtete die Fotografie eingehend. Man konnte erkennen,
dass die beiden Brüder waren: Beide hatten helle Augen und mittelblonde Haare.
Während Christian aber eher feine Gesichtszüge hatte, wirkte der Bruder sehr
kernig.
    Je länger sich Sabina mit der Tante unterhielt und je mehr sie über
Schlorf erfuhr, desto mehr wuchsen ihre Zweifel, ob er wirklich etwas mit den
Morden zu tun hatte. Auf der anderen Seite: Wer hielt es schon für möglich,
dass sein Verwandter oder Freund ein brutaler Mörder war? Immerhin schien Schlorf
eine starke Abneigung gegen das Christentum zu haben, gleichzeitig aber
durchaus Interesse an heidnischen Religionen wie dem Mithraskult.
    «Hat Christian Ihnen je erzählt, dass er die Gabe hat, in die
Zukunft zu schauen?»
    «In die Zukunft schauen?», überlegte sie einen Moment. «Davon hat er
nie etwas erzählt. Aber er hat immer wieder Dinge vorhergesagt, bei denen ich
mich gefragt habe, wie er darauf kommt. Das schon. Warum?»
    «Wie Sie wissen, suchen wir Christian im Kontext mehrerer Morde, die
sich bei uns zugetragen haben. Er hat vorhergesagt, dass etwas Schlimmes in der
Gegend passieren würde.»
    «Da schau her», sagte die Tante, «und deswegen halten Sie ihn für
den Mörder?»
    «Zumindest für einen Verdächtigen», sagte Sabina. «Ich bitte Sie
daher sehr eindringlich, sich zu melden, wenn Christian kommt.»
    «Jaja, das sag ich ihm schon», sagte die Tante. «Er hat ja doch nix
damit zu tun.»
    Sabina schlug ihr Notizbuch zu und trank den letzten Schluck Kaffee.
    «Eine Frage noch. Wie hat es denn der Christian mit den Frauen? Hat
er keine Freundin?»
    «Ach, die Mädchen», sagte die Tante. «Doch, er hat immer wieder
eine. Und immer Hübsche. Aber irgendwie ist nie eine bei ihm geblieben.»
    «Hat ihn das verletzt?»
    «Ja, da hat er als mal eine Träne geweint, glaub ich. Aber da redet
er schon länger nicht mehr drüber. Er ist dann immer öfter in den Wald.»
    «In welchem Wald ist er denn am liebsten?»
    «Das kann man so nicht sagen. Er war schon in Finnland, Schweden,
Estland, Polen. Und natürlich im Schwarzwald und im Bayerischen Wald, Pfälzerwald,
auch in den Vogesen.»
    Sabina nickte. «Wäre es möglich, dass Sie seinen Bruder anrufen? Ich
würde mich gerne noch mit ihm unterhalten.»
    «Ja, sicher. Er wollte nachher eh vorbeikommen.»
    Während die Tante mit ihrem jüngeren Ziehsohn telefonierte, sah
sich Sabina in Schlorfs altem Zimmer um, blätterte in Fotoalben und öffnete die
Schreibtischschubladen. Immer wieder sah sie einen feinsinnig wirkenden Jungen
oder jungen Mann, der Bäume umarmte, Baumhäuser baute und mit Tieren spielte.
Nirgends fand sie etwas, das irgendwie auf Gewalttätigkeit hinwies oder einen
Anhaltspunkt für die Verbrechen gab. Im Kleiderschrank hingen einige Pullis und
Hemden. Sabina suchte nach etwas DNA -Tauglichem und tütete einige Haare ein,
die mutmasslich von Christian Schlorf stammten. Dann ging sie zurück in die
Stube und wartete.
    Auch Thomas Schlorf bestätigte die Friedfertigkeit des älteren
Bruders. Der Christian sei eben ein bisschen anders als andere, aber auf jeden
Fall ein guter Kerl. Man müsse ihn nur oft genug allein lassen, dann finde er
sein Gleichgewicht. Aggressiv sei er nie gewesen, auch nicht als Kind.
    «Ich hab mich immer mit den Nachbarsjungen geschlagen, nie mit dem
Christian», lachte Thomas. «Nur wenn er nicht in den Wald durfte, war er
stinkig.»
    «Und die Mädchen?»
    «Es gab immer mal eine. Aber die fanden es halt meistens nicht so
witzig,

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