Schattengott
wenn der Wald dann doch wichtiger war als sie.»
«Wohnt eine seiner ehemaligen Freundinnen hier in der Nähe?»
«Die Letzte ist nach Norwegen gezogen, glaube ich. Eine Künstlerin.
Nein, es wohnt eigentlich keine mehr hier. Ich wüsste auch nicht mal mehr die
Namen.»
«Eine Frage noch», sagte Sabina, «wovon lebt Ihr Bruder eigentlich?»
«Er macht hin und wieder Übersetzungen oder berät jemanden bei einer
Doktorarbeit. So, wie er lebt, braucht er ja nicht viel.»
«Ich danke Ihnen», sagte Sabina und sah von Schlorfs Bruder zu
seiner Tante. «Alles Gute.»
6
Die Woche stand im Zeichen der Vorbereitungen auf Fronleichnam.
Malfazi legte seinen Ermittlungsschwerpunkt erneut auf die vier Orte, die er in
Schlorfs Ordner gefunden hatte. Mochte auch an Pfingsten der Termin nicht
gepasst haben, diesmal würden sie den Tätern durch ihr Wissen einen Schritt
voraus sein. Am Tag vor Fronleichnam war der Einsatzplan fertig.
«Was ist eigentlich an Fronleichnam genau passiert, warum feiert man
das?», fragte Malfazi.
«Es geht um die leibliche Gegenwart Jesu beim Abendmahl», sagte
Sabina. «Ein Sakrament, das das Christentum vielleicht dem Mithraskult entlehnt
hat. Die hatten auch so eine Zeremonie mit Wein, Fleisch und Brot.»
«Dann muss der Zeitpunkt einfach passen», sagte Malfazi. «Heute
Nacht kriegen wir sie. Hat eigentlich der DNA -Test von Schlorfs
Haaren etwas ergeben?»
«Negativ», sagte Sabina, «wenn es überhaupt seine Haare waren, wovon
wohl auszugehen ist.»
Malfazi hatte für die Fronleichnamsaktion eine Einsatzgruppe mit
fünfundsechzig Mann zusammengestellt und die vier potenziellen Tatorte
eingekreist: die Kultfelsen von Carschenna und die nahe gelegene Burg Hohen
Rätien, eine weitere Ansammlung von kultischen Felsen bei Savognin und die
berühmte Kirche von Zillis. Die Polizisten würden sich in jeweils vier Gruppen
um die Plätze verteilen und aus dem Verborgenen mit Nachtsichtgeräten agieren.
Alle Mann waren mit schwerem Geschütz ausgestattet. Malfazi und der mobile
Einsatzleiter überwachten das Geschehen von einem Einsatzwagen aus, der bei
Thusis an der Autobahn stand. Von hier aus waren alle Zielorte schnell zu
erreichen.
Seit der Videobotschaft von Pfingsten lastete ein enormer Druck auf
Malfazi. Immerhin bekam er alles, was er für die Überwachung brauchte, im
Handumdrehen zugesagt.
Eine Einsatztruppe von gut sechzig Mann zusammenzustellen wäre
normalerweise mit einem langen bürokratischen Weg verbunden gewesen. In diesen
Tagen funktionierte alles schnell und reibungslos.
* * *
Die Nacht auf Fronleichnam war klar und voller Sterne. Team 1
postierte sich mit zwanzig Mann um die Felsen von Carschenna. Auf jeden Felsen
war ein Nachtsichtgerät gerichtet, das von mindestens zwei Mann überwacht
wurde. Die Polizisten verbargen sich zwischen Bäumen und Erdhügeln, die Waffen
im Anschlag. Ein zweites Team mit zehn Polizisten nahm das Hochplateau von
Hohen Rätien ins Visier. Die Kirche von Zillis wurde von beiden Hangseiten aus
überwacht. Die Beobachtungsteams bezogen mehrere hundert Meter Luftlinie
entfernt bei Reischen und auf der anderen Seite bei Donat Stellung. Insgesamt
zwanzig Polizisten warteten im Umkreis der Kirche auf Befehle. Auch auf die
nahe Mithrashöhle war ein Nachtsichtgerät gerichtet. Die Felsen bei Savognin
standen im Fokus von zwei Nachtsichtgeräten und insgesamt fünfzehn Polizisten.
Malfazi und der mobile Einsatzleiter hielten ständig Funkkontakt und
tranken becherweise Kaffee. Doch ausser einem Reh beim Felsen Carschenna IV gerieten zunächst keine auffälligen Objekte in den Fokus der Beobachter.
Um ein Uhr hielt ein VW -Bus mit deutschem Kennzeichen auf dem
Parkplatz bei der Kirche in Zillis. Den Bewegungen des Fahrzeugs nach zu
urteilen, handelte es sich um ein Liebespaar, das auf dem Rückweg von Italien
einen amourösen Zwischenstopp einlegte. Um auf Nummer sicher zu gehen, schickte
Malfazi ein Viererteam der Einsatztruppe zu dem Wagen. Tatsächlich waren es
zwei junge Touristen auf dem Weg zurück nach Deutschland.
Um vier Uhr nachts hielt ein weiterer Pkw bei der Kirche. Der Fahrer
pinkelte hinter sein Auto und fuhr nach vier Minuten weiter. Um sechs Uhr
morgens brach Malfazi den Einsatz ab.
* * *
Gemeinsam mit den sechs anderen kniete er vor dem Altar. Jetzt
sollte es so weit sein. Drei weitere Christinnen waren zur Opferung bereit.
Jung, dem Kreuz dienend, geboren im Zeichen des Stiers. Wieder hatten drei
Brüder aus der
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