Schattengott
Gemeinschaft die Frauen überwältigt. Jeder der sieben brachte
einen Stier zur Opferung dar. Und alle waren bereit, die Weihe durch den Hohepriester
zu empfangen. Im Zeichen des Löwen, des Persers und des Sonnenläufers würde er
sie diesmal weihen. Sechs Opfer wären dann dargebracht, sechs Stufen er-
klommen, und nur noch ein letzter Stier fehlte.
Der Stier, der für ihn bestimmt war. Bald schon würde der
Hohepriester ihn allein in die siebte Stufe einweihen und befreien. Als Lohn
dafür, dass er das Ritual für die sechs organisiert hatte, die mit ihm den Weg
zur Erlösung gingen.
Er hatte alles getan, was der Hohepriester gefordert hatte. Und er
hatte die Spuren so gelegt, dass man ihn selbst niemals finden würde. Die ganze
Zeit über hatte er sich im Zentrum des Geschehens bewegt und alles koordiniert.
Und doch hatte niemand ihn entlarvt, weil er den Verdacht auf andere gelenkt
und alles weitsichtig geplant hatte. Diesmal hatte er den uralten Tunnel
benutzt, den nicht einmal Rosenacker kannte. Er hatte Hinweise darauf in einer
alten Chronik über Schloss Mondfels entdeckt. Der Tunnel endete etwas oberhalb
von Thusis. Im Postbus war er an den Polizeisperren vorbeigefahren. Öffentliche
Busse wurden nicht kontrolliert, da sie kaum zum Leichentransport geeignet
waren. Gemeinsam mit einem Mitbruder war er ab Zillis auf dem Motorrad
gefahren. Mit ausgeschaltetem Licht waren sie über die alte Forststrasse hinauf
zu den Schächten gelangt. Jetzt war er hier. Und mit ihm die sechs Brüder, der
Stumme, die beiden Messdiener und der Hohepriester.
Der Gongschlag ertönte. Die Messdiener sangen. Die Gemeinde stimmte
ein. Der vierte Stier wurde hereingetragen und auf den Altar gelegt. Der
Hohepriester weihte die Frau und vollführte die Schnitte. Ihr Blut ergoss sich
in den Kelch. Es war so weit.
Er kniete nieder, legte den Mantel ab, spürte das Blut auf seiner
Haut und dann das Eisen auf seiner Brust.
Mit drei Maultieren überquerten sie den Kamm zum Oberhalbstein.
Dann verluden sie die Opfer in den Wagen, der seit Tagen dort oben versteckt
war. Ohne Licht fuhren sie über die schmale Gebirgsstrasse. Sie hielten
oberhalb der Albula und überquerten den Fluss über eine mit mehreren
Holzbrettern provisorisch errichtete Brücke. Die letzten Meter zur Kirche
gingen sie zu Fuss. Er vorneweg, die drei anderen hinter ihm mit den Frauen auf
den Armen. Zuletzt der Stumme. Er öffnete das Tor und liess vor jedem der drei
Altare eine der Frauen niederlegen. Dann wies er seine Mitbrüder an, die Arme
der Frauen auszubreiten. Mit dem Kopf Richtung Tür liess er sie anordnen wie
drei Gekreuzigte. Nackt, gereinigt, befreit von der Schuld ihrer Ahnen. Er
liess ihnen die Schmuckstücke anlegen und sie noch einmal vom Stummen
einbalsamieren. Sie sollten ganz rein sein.
Wie die anderen trug auch er Handschuhe und eine Mütze. Die
Brandmale auf seiner Brust schmerzten. Es waren die letzten Schmerzen auf
seinem Weg zur Erlösung. Er liess jeden der drei Mitbrüder eine Fackel
entzünden und filmte auch die Vollendung des Sacrificiums. Sicher hatten die
Polizisten wieder die vier Ziele im Visier, die er ihnen in Schlorfs Ordner
präsentiert hatte. Aber niemand würde an die alte Kirche von Mistail denken. Er
war ihnen überlegen, so wie Mithras ihrem Gott überlegen war. Hier in der
Kirche würde man die Opfer morgen finden. Und er wäre der siebten Stufe noch
näher. Nur noch ein Stier fehlte zur Erlösung. In der Nacht der Mondfinsternis
würde es so weit sein.
Als er alles gefilmt hatte, löschten sie die Fackeln und verwischten
ihre Fussspuren. Die drei Mitbrüder und der Stumme verschwanden über die
provisorische Brücke hinter der Albula und brachten die Maultiere zurück. Als
sie den Fluss überquert hatten, warfen sie die Bretter ins Wasser. Niemand
würde auf die Idee kommen, dass sie sich der Kirche vom Fluss her genähert
hatten. Er selbst ging vor zur Strasse, auch seine Fussspuren verwischte er.
Mit einem Mitbruder hatte er vereinbart, dass er ihn mit dem Motorrad abholen
würde. Motorräder wurden nicht kontrolliert, da man auf ihnen nur schwer
Leichen transportieren konnte. Als der Mitbruder ihn abholte, war es kurz nach
fünf. Er würde noch vor den ersten Sonnenstrahlen wieder zurück sein und den
Geheimgang verschlossen haben.
* * *
Der Morgen von Fronleichnam war angebrochen. Malfazi sass auf
einem Klappstuhl vor dem Einsatzbus und schlürfte einen Kaffee. Die
Nachtsichtgeräte waren längst wieder
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