Schattengott
Beerdigung des alten Lehrers
angesprochen. Er hatte unter demselben Peiniger gelitten. Nach dem ersten
Treffen hatte er ihn aufgenommen in den Kreis. Inzwischen waren sie mit dem
Hohepriester, den Messdienern und dem Stummen elf Männer. Sie kamen aus
verschiedenen Ländern und hatten ganz unterschiedliche Biografien. Geeint aber
waren sie durch die Wunden, die ihnen der christliche Schattengott zugefügt
hatte. Und durch die Hoffnung auf Erlösung in Mithras.
Sollte er nun tatsächlich bald der Erste sein, der die siebte Stufe
erreichte? Die übrigen sechs würden ihm in den kommenden Jahren folgen.
Zunächst aber halfen sie ihm dabei, sein Werk zu vollenden. Sie brachten im
Schutz der Nacht die Sprengsätze in der Schlucht an. Er wusste, dass er sich
auf sie verlassen konnte.
Mit nacktem Oberkörper legte er sich auf den Boden und betete zu
Mithras. «Lass mich eingehen in Dein Licht und befreie mich von allen Schatten
der Vergangenheit, der Du aus dem Fels geboren bist und wiederkommst, um das
Dunkel zu beenden. Um das Dunkel zu beenden. Bitte, mein Gott, Mithras. Erlöse
mich.»
Als er sich wieder aufgerichtet hatte, nahm er die Harfe und spielte
das alte Lied. «Träum süss. Mein Kind, träum süss.» Hinter den Wolken
verschwand der Mond.
Noch drei Tage.
9
Drei Mitarbeiter der Kantonspolizei hatten daran gearbeitet,
weitere Informationen über die Bewohner von Schloss Mondfels zu bekommen. Am
Mittwoch traf sich das Ermittlerteam, um sich auf den neuesten Stand bringen zu
lassen.
Jean Redolfi, so hatten die Kollegen herausgefunden, hatte einen
jüngeren Bruder, der in einem Kloster in Frankreich lebte. Er war jedoch im
Moment verreist und auch nicht erreichbar, wie die Klosterleitung mitgeteilt
hatte. Freunde, Verwandte oder Bekannte liessen sich nicht ermitteln. Aus dem
Firmenumfeld gab es auch keine neuen Informationen. Redolfi sei als freier
Berater tätig, er arbeite meist auf eigene Faust und habe daher auch kaum
soziale Kontakte in der Firma. Der Mann schien in jeder Hinsicht ein
Einzelgänger zu sein.
Über Matthew Sanderson war immerhin eine Anekdote ausgegraben
worden, die für Diskussionen sorgte: Eine ehemalige Kommilitonin, die auf
demselben Feld wie der Australier forschte, bezichtigte ihn der sexuellen
Nötigung. Er habe sie bei einer Exkursion in Frankreich im Zelt aufgesucht und
massiv bedrängt. Sie habe aber damals auf eine Anzeige verzichtet.
«Der hat eben einen Anmachversuch gestartet und ist abgeblitzt», tat
Malfazi die Sache ab.
«Ihr könnt euch das einfach nicht vorstellen, dass es so was wie
sexuelle Belästigung gibt, oder?», fauchte Sabina.
«Doch», sagte Heini, «ich finde es auch nicht lustig.»
Ansonsten festigte sich folgendes Bild von Sanderson: ein ganz auf
seine Felsen und Symbole fixierter Mann, der viel in der Welt herumkam, aber
nirgends richtig sesshaft wurde – oder eben überall zu Hause war, ganz wie
man es interpretierte. Sein religiöser Hintergrund war unklar. Ein Professor
erwähnte, er habe wohl mit den Mormonen in Verbindung gestanden.
Zu Rúna Hauksdóttir gab es die interessantesten Neuigkeiten,
immerhin zwei Aussagen. Die eine von einer Steinbildhauerin, die auf derselben
Kunstschule gewesen war wie Frau Hauksdóttir. Die andere von ihrer Lehrerin auf
dieser Schule. Beide zeichneten das Bild einer sehr sensiblen Frau, die als
Kind ziemlich sicher Opfer von häuslicher oder priesterlicher Gewalt geworden
sei. Auch betonten sie, dass die Künstlerin zu eruptiven Wutausbrüchen neige
und sich mit der Steinbildhauerei in gewisser Weise zu heilen versuche.
Zu guter Letzt kamen die Ergebnisse der Akte Oskar Varga, zu der
auch Alfred Rosenacker einiges beigetragen hatte. Der Koch von Schloss Mondfels
war gebürtiger Ungar. Er hatte seine Kindheit wohl in Rumänien verbracht und
dann etwa fünfzehn Jahre lang in Deutschland und Österreich gelebt. Als
Hausmeister war er wegen Trunkenheit im Dienst entlassen worden, danach hatte
er sich als Bademeister und Lkw-Fahrer verdingt. Nach einem Aufenthalt in einer
Erholungsstätte des Malteserordens hatte er mit dem Kochen begonnen, zunächst
in der Erholungsstätte selbst, später in einem Benediktinerkloster in
Süddeutschland. Er war dort durchaus geschätzt gewesen und hatte es auf eigenen
Wunsch verlassen. Vor etwa einem Jahr hatte er sich bei Alfred Rosenacker vorgestellt,
von dessen Stiftung er wohl von einem Klostergast erfahren hatte. Über Vargas
Kindheit war nichts herauszufinden. Er hatte die
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