SchattenGrab
Detlef zu.
„Ja, Detlef“, sagte Wolf, „gute Arbeit. So einen wie dich können wir hier gut gebrauchen. Wie teilen wir uns auf? Einer von euch müsste zu den Großeltern von Sophie und einer zu ihrer Tante. Ich bleibe hier und koordiniere. Es geht jetzt erst mal darum, die Alibis zu überprüfen.“
„Dann übernehme ich die Großeltern“, sagte Detlef,„sie arbeiten hier im Krankenhaus als Ärzte.“
„Weißt du auch schon, wo die Tante des Mädchens wohnt?“, fragte Peter.
„Sag ich dir sofort“, antwortete Detlef und wandte sich seinem Rechner zu.
„Gut, dann düse ich dahin“, entschied Peter.
„Alle Infos, die ihr bekommt, bitte umgehend zu mir“, bat Wolf und ging in sein eigenes Büro.
Was war das für eine böse Geschichte, die sich da möglicherweise abgespielt hatte. Er setzte sich in seinen Schreibtischstuhl und betrachtete wie so oft Gemälde von William Turner. „Die letzte Fahrt der Téméraire“ war der Untergang des Zeitalters der Segelschiffe. Dasletzte, märchenhaft verklärte wurde von einem Kohledampfer zur letzten Ruhestätte geschleppt. Etwas Morbides hatte dieses Bild trotz seines herrlichen Sonnenuntergangs. Es erinnerte ihn immer wieder daran, dass Schönes und Schreckliches zugleich existieren konnten. In seinem Beruf wurde er oft mit der Endgültigkeit konfrontiert. Lebenswege, die abrupt aufhörten und Umstände verursachten, die alles änderten und nicht zu vergessen: Angehörige, die damit weiterleben mussten, wie er selbst seinerzeit.
Wolf mochte gar nicht darüber nachdenken, dass ein kleines, behindertes Mädchen irgendwo gefangen sein mochte und möglicherweise dahinvegetierte, bis der Tod eintrat. Eine grausame Vorstellung, die leider nicht jenseits seiner Fantasie lag. Er hatte schon zu viel gesehen.
Justus
Noch am Morgen hatte Justus versucht, ein vernünftiges Gespräch mit Verena zu führen. Als sie mit verheulten Augen aus ihrem Schlafzimmer trat, sprach er sie an, ob sie einen Moment Zeit für ihn hätte.
„Mach’s kurz“, sagte sie, „ich will hier weg!“
„Und wohin?“, fragte er kopfschüttelnd.
„Du kannst dich ruhig über mich lustig machen“, schrie sie, „das hast du ja immer getan, ganz egal, was es war.“
„Verena, du überreagierst wieder wie immer. Können wir uns nicht normal unterhalten?“
„Das liegt an dir“, sagte sie etwas ruhiger, „aber was du mir alles aufhalst, kann ja kein Mensch ertragen. Erst verschwindet unsere Sophie, dann muss ich erfahren, wie wenig du von Anfang an für sie empfunden hast, dann stirbt Friedhelm und jetzt zieht auch noch deine Mutter bei uns ein.“
„Ja, mein Vater ist tot, wo soll sie denn hin?“, fragte Justus. „Du weißt, dass sie nicht alleine klarkommt.“
„Weil sie schon lange ins Heim gemusst hätte. Ich habe es immer gesagt und du wolltest auch noch, dass Sophie allein in ihrer Obhut ist. Wenn ich nur daran denke, wie sie ihr mit der Schere im Gesicht rumgefuchtelt und ihr diesen schrecklich schiefen Pony geschnitten hat. Dabei hätte wer weiß was passieren können.“
„Das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun. Wenn ein Mensch nicht mehr allein in seiner Wohnung zurechtkommt, heißt das doch nicht automatisch, dasser nicht trotzdem liebevoll mit seiner Enkeltochter umgehen kann. Sophie war glücklich bei ihr.“
„Weil Friedhelm ein Auge darauf hatte“, betonte Verena.
Justus winkte ab. Es hatte keinen Sinn, mit ihr zu diskutieren.
„Wo willst du denn nun hin?“, fragte er vorsichtig.
„Ich gehe erst mal zu meiner Schwester nach Bückeburg. Hier hält mich doch nichts mehr – Sophie und Friedhelm sind weg, niemand braucht mich mehr – und du hast deine Mutter bei dir. Ist doch alles super.“ Sie weinte.
„Doch, ich brauche dich, ich brauche meine Verena, so wie sie früher war. Eine Frau, die mich liebte. Wo ist sie hin?“
Es kam keine Antwort, nur ein Schluchzen.
„Vielleicht ist es ganz gut, wenn du etwas Abstand gewinnst“, überlegte Justus, „ich hoffe, dass du dann zu mir zurückfinden kannst.“
„Ich will, dass Sophie zu mir zurückfindet“, sagte sie leise.
„Aber das hat doch mit uns beiden nichts zu tun“, wandte er ein und war völlig perplex, dass sie begann auf ihn einzuschlagen. Es dauerte einen Moment, bis er sie zu fassen bekam und festhalten konnte. Langsam beruhigte sie sich.
„Marie ist doch bei mir“, sagte eine Stimme aus dem Türrahmen. Marianne war durch den lauten Streit wach geworden, „ich hab sie von
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