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Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Titel: Schattengreifer - Die Zeitenfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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glutroten Licht der untergehenden
Sonne.

Die Kleidung passte wie maßgeschneidert, und Simon bewunderte Caspar wieder einmal für seine unglaubliche Geschicklichkeit. Es kostete ihn einige Mühe, den Karren über den Tempelhof zu ziehen. Er hoffte nur, dass er nicht auffiel. Dass sich niemand wunderte, warum er solche Kraft aufwenden musste, um den Wagen zu bewegen. Für Außenstehende schien er ja ausnahmslos mit Früchten beladen zu sein. Niemand konnte ahnen oder auch erkennen, dass sich unter der Ware, die oben auf der Karre lagerte, eine breite Decke befand, unter der sich gerade drei weitere Jugendliche versteckt hielten, eng aneinandergeschmiegt.
    »Es sind nur noch wenige Schritte«, raunte Simon in Richtung der vermeintlichen Datteln, Feigen, Granatäpfel und Trauben auf seinem Wagen. »Wir haben den Palast gleich erreicht. Was auch immer geschieht: Haltet Ruhe!«
    Ein kurzes Murmeln klang als Antwort aus dem Karren heraus.
    Simon steuerte auf den Eingang zwischen den beiden beschriebenen Götterstatuen zu. Die Kappen mit den Hörnern daran waren ungewöhnlich. Aber durch sie wirkten die Statuen besonders würdevoll.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde Simon der Weg von zwei Wachen versperrt, die ihre Speere vor ihm kreuzten.
    »Wohin?«
    Die Wache rechts von Simon hatte diese Frage gestellt. Doch Simon wandte sich rasch dem anderen Mann zu. Eindeutig war dies die Person, die der Schreiber Ban-Kuu ihm genannt hatte. Der Wächter hatte tatsächlich ein auffallend breites Gesicht, in dem seine winzige Nase geradezu verschwand.
    »Ich bringe Früchte für die Zeremonie«, sagte Simon.
    »Hast du dich eintragen lassen?«, erkundigte sich der Wachposten, und Simon musste sich konzentrieren, um nicht auf dessen Nase zu starren.
    »Ban-Kuu schickt mich«, erwiderte Simon. Er zog die Tontafel mit dem kunstvollen Siegel des Schreibers hervor, reichte sie dem Wachposten und wartete gespannt auf die Reaktion des Mannes.
    Der Wächter legte den Kopf zur Seite, und seine Augen weiteten sich, was ihm jetzt ein völlig absurdes Aussehen verlieh.
    »Ban-Kuu schickt dich?«
    Simon nickte. »Diese Früchte müssen unbedingt seinen Bruder erreichen.«
    »Den Hohepriester?«
    Simon nickte erneut und hoffte nur, dass dies keine Fangfrage gewesen war.
    »Dann solltest du dich beeilen«, gab die Wache zurück. »Das Ritual steht unmittelbar bevor.«
    Die zweite Wache verzog nun ebenfalls das Gesicht. »Bist du sicher, dass wir ihn …«
    »Gib acht!«, herrschte ihn der linke Posten an. »Willst du schuld daran sein, wenn dieser Karren den Hohepriester erst nach der Zeremonie erreicht? Willst du das?«
    Der andere gab schnell nach. »Nun mach schon!«, fauchte er Simon an. »Steh hier nicht rum!«
    Simon zögerte einen Moment. »Könntet ihr mir sagen, wo im Palast …«
    »Halte dich rechts. Stell dir vor, du bewegst dich im Palast auf die Zikkurat zu. Unser König wird mit seinem Gefolge ineinem Seitengang bestattet, der selbstverständlich eine Verbindung zum Tempel hat.«
    »Selbstverständlich«, gab Simon zurück. »Ich hätte es mir denken können.«
    »Und nun geh!«, fauchte der andere wieder. »Bevor wir es uns anders überlegen!«
    Mit einem »Danke« verschwand Simon samt Karre im Eingang, kurz bevor sich der Schatten des nächsten Besuchers über ihn legen konnte. Ein Schatten, der aus zwei Elementen bestand: dem eines Magiers und dem eines Mädchens.
    Der Magier stand nur wenige Sekunden später am Eingang. Doch anstatt ein Gespräch mit den Wachen zu beginnen, streckte er lediglich eine Hand aus, und die beiden Männer vor dem Palast sackten in sich zusammen und verloren augenblicklich ihr Bewusstsein.
     
    Die roten Punkte hatten ihn erreicht. Das Geräusch herannahender Flügel erstarb, und Christian erkannte sie sofort wieder. Nur wenige Schritte von seinem Gefängnis entfernt hatte sie sich auf einem Felsvorsprung niedergelassen und schaute nun zu ihm hinein, mit ihren roten Augen, die im Dunkel leuchteten.
    Christian hatte sie schon damals gehasst. Schon vom ersten Augenblick an, als er auf dem Deck des Seelensammlers angekommen war, hatte er sie fürchten gelernt, diese riesige Krähe, die ständige Begleiterin des Schattengreifers. Sie, die der Magier als seine Vertraute betrachtete und mit deren Hilfe er schneller das Schiff erreichen und verlassen konnte. Sie war ein Teildes Magiers, ein Stück seines Geistes. Mit ihren Augen konnte er sehen, mit ihren Ohren hören, und mit ihrer Kraft war es ihm

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