Schattengreifer - Die Zeitenfestung
gab Neferti zur Antwort.
»Aber … aber was geschieht dort mit meinem Schatten? Ich …?«
»Der Magier ist wegen dir hierhergekommen«, erklärte Neferti. »Er hat es auf dich abgesehen.«
»Weil wir – wie habt ihr es ausgedrückt?«
»Weil wir Zeitenkrieger sind«, gab Moon ihr noch zur Antwort, dann kam plötzlich Leben in das Geschehen. In dem spitz zulaufenden Portal des Saals tauchte nun der Schattengreifer selbst auf, und die noch lebenden Menschen im Saal wichen ängstlich vor seiner unheimlichen Gestalt zurück. An seinem schwarzen Mantel klebte Blut. Er musste sich gewaltsam aus den Händen der Wachen befreit haben, die ihn im Gang verfolgt hatten.
Sein Schatten an der Wand schmolz nun sichtbar, bis er die Größe des Magiers erreicht hatte. Dann verbeugte er sich vor dem Schattengreifer und legte ihm Nin-Sis Schatten in die Klauen.
Nin-Sis Schatten wehrte sich noch kurz, doch er war fest in den Händen des Magiers gefangen. Die Kraft des Schattens erlosch zusehends und schließlich hing er wie ein schwarzes Tuch in den Klauen des Schattengreifers.
Der Magier wandte den Kopf und blickte auf Nin-Si, die sich in ihrer Angst noch enger an Neferti schmiegte.
»Du!«, sagte er mit seiner schnarrenden Stimme. Und die hohen Wände des Saals warfen seine Worte wie ein tausendfaches Echo in dem Raum hin und her. »Komm zu mir!«Jessica zitterte. Sie fürchtete sich davor, Tom könnte sie für völlig überdreht halten.
Denn sie hatte ihm gerade alles erzählt, was sie wusste. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich die Reihenfolge der Geschehnisse richtig gemerkt hatte. Doch sie war sich sicher, dass sie alle wichtigen Fakten aufgezählt hatte.
Nun starrte sie nervös auf Tom wie ein Kaninchen auf die Schlange und hoffte, nicht gefressen zu werden. Es war ihr wichtig, dass Tom ihr glaubte. Er war der vernünftigste Junge, den sie kannte. Und wenn er sie nicht für verrückt hielt, dann könnte sie ihre Angst vielleicht ein Stück verlieren.
Tom starrte nachdenklich auf sein Saftglas. Genau so, wie Simon es vor wenigen Stunden gemacht hatte. Genau hier am Tisch, in diesem Raum.
Dieser Augenblick der Stille war für Jessica unerträglich. Doch schließlich blickte Tom auf. Er atmete einmal tief ein und sagte in ruhigem Ton: »Wenn ich dir jetzt sage, dass ich dir jedes einzelne Wort glaube, hältst du mich dann auch für verrückt?«
Sie starrte ihn verblüfft an. »Was?«
»Alles, was du sagst, klingt völlig unglaublich. Eine Geschichte wie aus einem Fantasy-Jugendroman, die sich irgendein durchgeknallter Autor ausgedacht hat. Aber andererseits … andererseits passt das alles zu Simons Verhalten der letzten Monate.« Er atmete noch einmal tief ein. Und dann begann Tom zu erzählen: von Simons täglichen Besuchen in der Schulbücherei, von den vielen Artikeln über verschiedene Epochen, die er inzwischen beinahe Wort für Wort auswendig aufsagen konnte. Seine Grübeleien. Seine Skizzen von Krähenköpfen,Segelschiffen und Sanduhren, die er immer wieder während langweiligen Mathematikstunden in sein Heft gezeichnet hatte.
»Das alles passt zusammen, findest du nicht?«, schloss er schließlich seinen Bericht, und Jessica musste ihm recht geben.
»Warum hat er denn nie etwas gesagt?«, überlegte sie laut.
Tom musste nicht lange überlegen: »Hättest du ihm das geglaubt: Zeitreisen, Zaubersprüche, Schattengreifer? Du hättest ihn doch …«
»… für verrückt gehalten.«
»So, wie du dachtest, dass ich dich für verrückt erkläre, oder?«
Sie nickte nur. »Und jetzt?«
Tom griff nach Simons Block. »Darf ich mir den ausleihen?«
»Natürlich. Was hast du denn vor?«
Er zog die Stirn in Falten. »Weiß ich auch nicht so genau. Aber dieser Block ist die einzige Spur, die wir verfolgen können.«
»Spur? Willst du dich auf die Suche nach Simon machen?«
»Zumindest möchte ich mehr über das erfahren, was mit ihm geschehen ist. Und ich denke, ich weiß, wo ich beginnen sollte.« Er sprang auf. »Ich gebe dir Bescheid, sobald ich auch nur das Geringste erfahre«, versprach er noch, dann eilte er nach draußen.
Jessica sah ihm nach, wie er über den Kies der Einfahrt das Haus wieder verließ. Erleichterung machte sich in ihr breit. Es war richtig gewesen, Tom alles zu erzählen. Sie winkte ihm nach, obwohl er sie bereits nicht mehr sehen konnte, und hoffte inständig, dass er Antworten finden würde.Die Wachen warfen ihre Speere mit aller Kraft auf den Magier, der noch immer im Eingang des
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