Schattengreifer - Die Zeitenfestung
robben konnte. Mit den Ellenbogen zog er sich über den Boden.
Langsam.
Er wollte die Vögel um ihn herum nicht aufschrecken.
Doch diese verharrten noch immer nahezu bewegungslos. Lediglich ihre Köpfe drehten sich langsam bei jeder Bewegung Toms, sodass sie ihn weiter im Blick behalten konnten.
Der Junge robbte über den Boden, bis er den Gang erreicht hatte, der ihm am nächsten war. An dem runden Portal, das – wie bei den anderen Tunneln auch – als Eingang diente, hielt er kurz inne und blickte nach oben. Gleich drei Krähen saßen dort über ihm und sahen zu ihm herab. Tom konnte nicht abschätzen, ob es ihnen recht war, wenn er durch das Portal verschwand. Er musste es einfach versuchen.
Vorsichtig robbte er also weiter. In den Gang hinein.
Sein Fuß pochte und seine Ellenbogen schmerzten ebenfalls. Bestimmt hatte er sich schon einige Schürfwunden zugezogen.
Die Krähen ließen ihn in Frieden. Tom war erleichtert, ihren schrecklichen Blicken entflohen zu sein. Er robbte noch ein Stück in den Gang hinein, bis er eine kleine Nische entdeckte, die sich in der Wand zu seiner Linken befand.
Dort mühte er sich hinein. Sie war gerade so breit, dass er dort Unterschlupf fand. Doch sicher fühlte er sich hier keineswegs.
Er bettete den linken Fuß so auf dem Boden, dass er nicht mehr schmerzte. Dann zog er den rechten Fuß an und lehnte seinen Kopf gegen das Knie.
Eine Träne rann aus seinem Auge und fiel auf die Hose, wo sie einen kleinen Flecken hinterließ. Wann hatte er das letzte Mal geweint?
Tom konnte sich nicht daran erinnern.
Er kauerte sich noch mehr zusammen und dachte an Simon.Neferti suchte Simons Nähe. Sie spürte wohl, dass etwas in ihm vorging.
Simon strich mit den Fingerspitzen vorsichtig über einen der zehn Kohlestriche an der Höhlenwand. Es war ein merkwürdiges Gefühl, wieder hier zu sein. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Tiefe, intensive Empfindungen.
In seinen Träumen hatte er diesen Ort schon vielfach besucht. Doch nur ein einziges Mal war er tatsächlich hier gewesen. Damals, als der Schattengreifer ihn mit auf eine Reise durch die Zeit genommen hatte. Als der Schattengreifer ihm alles offenbarte: den überraschenden Anfang und das angestrebte Ziel des Magiers.
Und natürlich war Simon bewusst, dass er sich hier nur eine knappe halbe Stunde von seinem Zuhause befand. In seiner Zeit. Am liebsten wäre er zu seiner Mutter gerannt, um ihr die Sorgen zu nehmen.
Doch hätte er das jetzt schon gekonnt? Ohne dass er seinen Vater gefunden hatte? Ohne überhaupt zu wissen, wo sein Vater war? Simon hatte diese Ahnung, aber er konnte nicht sicher sein, dass diese Höhle zu ihm führen würde.
»Was ist los?« Neferti entging nicht, dass Simon stutzte.
Verwundert sah er in die Höhle hinein. »Dieses Loch dort, in der Wand. Das war beim letzten Mal nicht da gewesen.«
»Bist du sicher?« Caspar ging darauf zu und legte eine Hand in die Öffnung. »Du hast recht«, sagte er. »Alles hier fühlt sich noch feucht an und frisch. Diese Öffnung ist bestimmt noch keine vierundzwanzig Stunden alt.«
»Und hier!« Moon kniete sich auf die feuchte Erde. »Fußspuren! Ebenfalls frisch.«
Simon ging neben ihm in die Hocke. »Turnschuhe!«, brachte er verwundert hervor. »Was hat das denn zu bedeuten? Mein Vater besitzt solche Schuhe nicht – und schon gar nicht der Schattengreifer …«
»Das kann alles bedeuten und auch nichts«, krächzte es hinter ihnen. Die kleine Krähe blickte ungeduldig in die Höhle. »Dieser Ort ist mir unheimlich. Es jagt mir kalt und heiß durchs Gefieder. Ich spüre es bis in die Federspitzen.«
Simon wandte sich schnell von ihr ab. Sie sollte ihm nicht ansehen, dass er ahnte, was ihr den Schauer verursachte. Nur wenige Schritte von dieser Stelle hier hatte der Schattengreifer ihr einst die Seele aus dem menschlichen Körper in den der Krähe übertragen. In der ersten Nacht, in der er sich seiner Zauberkraft bewusst geworden war. In der Nacht, als er einem Jungen nur die Angst nehmen wollte. All das hatte unmittelbar in der Nähe dieser Höhle stattgefunden. Eben nur einige Jahrtausende früher.
»Lasst uns sehen, was geschieht«, sagte Simon schließlich, dann duckte er sich und ging seinen Freunden voraus durch die enge Öffnung in den düsteren Gang der Höhle.
Tom fror. Die feuchte Kälte schaffte es sogar, ihm unter die Kleidung zu kriechen.
Alle Knochen taten ihm weh. Der Mangel an Bewegung zeigte seine Wirkung. Tom saß nun schon so lange
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