Schattengreifer - Die Zeitenfestung
sich das scheinbare Grau. Konturen zeichneten sich ab. Ein Profil. Simon erkannte es sofort!
Nun schlug sein Herz vor Aufregung noch wilder bis zu seinem Hals.
Diese Ruhe, die plötzlich das ganze Haus im Griff zu halten schien, setzte Jessica arg zu. Was hätte sie darum gegeben, wenn Nin-Si noch einmal die Musik in Simons Zimmer laut aufklingen lassen würde. Oder wenn Tom auf dem Sofa ein neues Glas Wasser gewünscht hätte.
Diese völlige Ruhe!
So bedrückend. So unerträglich. Jessica hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
»Ich sollte etwas tun«, beschloss sie und merkte gleich, wie gut es ihr tat, auch nur ihre eigene Stimme zu hören. »Ich muss dieser Stille ein Ende setzen.«
Sie ging in die Küche und räumte vom Tisch die Gläser und Teller zur Spüle, vor denen noch vor kurzer Zeit Tom und Nin-Si gesessen hatten. Sie räumte das Geschirr in die Spülmaschine. Sollte sie doch rumpeln und rumoren. Alles war besser als diese Stille.
Sie schloss die Tür und drückte den Knopf. Doch dann fuhr sie erschrocken zusammen.
Dieses Geräusch hatte die Spülmaschine noch nie von sich gegeben. Statt der arbeitenden Pumpe der Maschine war ein merkwürdiges Rauschen zu hören, das lauter und lauter wurde.
Jessica schlug mit der Hand gegen die Maschine, doch das half nichts. Das rauschende Geräusch verstärkte sich nur noch mehr.
Sie wunderte sich. Bis sie bemerkte, dass die kleine grüne Lampe an der Maschine nicht leuchtete. Die Spülmaschine war nicht eingeschaltet. Das Geräusch kam nicht von ihr. Es stammte nicht einmal aus der Wohnung, wie Jessica jetzt bemerkte.
Ihr schwante Übles. Hastig rannte sie in den Flur und riss die Haustür auf. Tatsächlich: Ihr Verdacht bestätigte sich. Ein neuer Schwarm Krähen flog zur Rotkopf-Klippe. Wieder wurde ihre Stadt von einer schwarzen Wolke schlagender Flügel überzogen.
Jessica standen Tränen in den Augen. Die Sorge um ihren Sohn und um ihren Mann wurde übergroß. Wenn sie nur wüsste, was das alles zu bedeuten hatte.
Sie hielt sich die Hände auf die Ohren und schloss die Augen. Gegen dieses Rauschen der Flügel war selbst die allumfassende Ruhe vorhin besser gewesen.
Auch den anderen war es längst aufgefallen: Vor den zwei unbesetzten Steinen am Lagerfeuer des Seelensammlers materialisierten sich Menschen. Aus dem anfänglichen Nebelhauch bildeten sich langsam Personen heraus. Personen, die sie nur allzu gut kannten.
Vor dem Stein mit der Geier-Hieroglyphe erschien der Erste: Basrar. Seinen Namen hatte Neferti zuerst erwähnt.
Simon fand, dass Nefertis Symbolauswahl auf diesen kämpferischen Freund nur allzu gut passte. Sein kantiges Profil wardas Erste, was sie von ihm erblicken konnten, dann formte sich sein Körper aus den nebligen Schwaden heraus.
Direkt neben ihm erschien die Silhouette von Salomon. Und auch bei ihm brauchte es nur wenige Augenblicke, bis seine ganze Erscheinung zu sehen war.
Simon hätte sich überschlagen können vor Begeisterung. Seine zwei Freunde, die er so vermisst hatte, sie waren hier! Zu gern wäre er zu ihnen gelaufen und hätte jeden von ihnen umarmt. Moon und Nin-Si erging es wohl ebenso. Auch sie strahlten den Neuankömmlingen freudig entgegen und mussten sich wie Simon zwingen, sitzen zu bleiben. Aber es war klar zu erkennen, dass Nefertis Zauber noch nicht abgeschlossen war.
Die zwei Besucher saßen starr am Feuer vor ihren Steinen, und hatten die Augen noch fest geschlossen. Nefertis Murmeln schwoll zu einem lauten Gesang an, dann gab sie die Krähe frei, klatschte in die Hände, griff noch etwas Pulver aus dem kleinen Beutel und warf es ins Feuer. Sie atmete laut hörbar ein, dann brach Neferti erschöpft zusammen. Auch die Krähe fiel benommen auf das Deck.
Im selben Moment öffneten die zwei Gerufenen die Augen.
Simon stürzte zu Neferti und zu der kleinen Krähe. Basrar und Salomon wurden von Nin-Si und Moon empfangen.
Nur Caspar, der Basrar und Salomon noch nicht kannte, verstand nicht, was hier vor sich ging.
»Simon!« Basrar und Salomon rannten zu ihrem Freund.
Simon hielt Neferti. Ihr Kopf ruhte auf seinem Schoß. So, wie Simon sie schon einmal gehalten hatte – damals, im Wald, in Salomons Zeit.
Eine Hand hatte er auf die kleine Krähe gelegt.
Basrar kniete sich neben die beiden. »Was ist mit ihnen?«
»Sie scheinen sich übernommen zu haben«, gab Simon zur Antwort. Es tat ihm leid, dass er Basrar und Salomon nicht so freundschaftlich begrüßen konnte, wie er das gern
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