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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Boden sanken und sich wie ein Leichentuch über Stroh und Lagerstatt legten. Sie hielt das Hufeisen ins Feuer. Es knackte leise, als es zu gläsernem Eis gefror. Langsam drehte sie sich um. Das Pferd und der Tod warteten.
    Sie trat an den Huf und legte das Eisen auf.
    »Und nun schlag fest zu«, frohlockte der Tod. Er wusste, dass das Eis vom ersten Schlag zerschmettert werden würde. Nico griff in ihr Hemd und tastete nach Helwigs Kreuz. Vielleicht sah der Tod nicht, was sie sich da so schnell vom Hals riss. Vielleicht reagierte er zu spät, als sie den Nagel durch das Eis trieb. Vielleicht spürte das Pferd zu spät, dass geweihtes Eisen in seinen Huf drang. Drei Schläge, und der Tod ließ den Hinterlauf fallen und sprang, die Arme vor Erschrecken zum Himmel gereckt, auf.
    »Wahnsinnige!«, brüllte er.
    Das Pferd wieherte und schlug aus. Nico spürte einen Schlag und wurde an die Hüttenwand geschleudert. Das gepeinigte Tier stieg hoch, mit lauten Krachen zerbarsten die dünnen Dachbalken, und Stroh und Holz regneten auf sie herab. Der Tod riss an den Zügeln, aber er konnte sein Ross nicht beruhigen. Blauer Dampf stieg aus den Nüstern, es bäumte sich auf und raste durch die Tür, den Tod hinter sich herschleifend, und als Nico sich aufrichtete und stöhnend nach draußen wankte, sah sie Ross und Reiter über den Himmel jagen, auf den Gipfel des Berges zu, und der Hufschlag klang wie Donner. Wolken ballten sich zusammen und wurden vom Sturm wieder in Fetzen gerissen. Für einen kurzen Augenblick blitzte das Mondlicht auf die tannengekrönte Kuppe, der Tod schwang sich auf den Rücken seines Pferdes, das stieß sich ab und raste mitten hinein in den Schneesturm, der die Wipfel der Bäume knickte, als wären es Kienspäne.
    Die Tür hing halb in den Angeln, das blaue Feuer zuckte noch einmal und verlöschte. Die Wände ächzten bedrohlich und noch mehr Holzbretter fielen von der Decke. Die Ziegen sprangen auf. Die Hühner flatterten ins Freie. Nico lief in die Hütte, schrie ihre Eltern an, schlug dem Vater ins Gesicht, warf die Mutter aus dem Bett, und endlich, endlich erwachten auch sie.
    Der Vater traute seinen Augen kaum. Kopfschüttelnd betrachtete er die Löcher im Dach und die zerstörte Tür. Noch immer pfiff der Wind über die Höhen, doch langsam schien sich der Schneesturm zu beruhigen. Schnell entzündete der Vater ein neues Feuer, das bald die beißende Kälte vertrieb. Zitternd drängten sich die Kinder aneinander. Die Mutter schob das Stroh zusammen, alle vereint krochen unter die Decke und wärmten sich gegenseitig bis Tagesanbruch.
    »Wir wären erfroren«, murmelte der Vater ein ums andere Mal. »Dieser verfluchte Sturm. Wir wären im Schlaf erfroren!«
    Mehrmals öffnete Nico den Mund, um etwas zu sagen. Doch sie schwieg. Wie hätte sie auch erklären sollen, dass sie dem Tod ein Hufeisen geschmiedet hatte?
    Helwigs Kreuz wurde nie gefunden. Im Frühjahr, als der Boden taute und das Grab für die Schwester ausgehoben werden konnte, fertigte der Vater ein neues Kreuz an und legte es auf den kleinen Sarg. Und es vergingen viele viele Jahre, bis Nico zum ersten Mal auf den Berg stieg. Im grauen Fels, tief eingekerbt, war der gewaltige Abdruck eines Hufeisens zu sehen. Die Rosstrappe, so nannten die Leute den seltsamen Ort und begannen, Geschichten zu erfinden, um den Abdruck zu erklären. Nico schwieg dazu. Sie wusste es besser.
    Nico fröstelte, obwohl der Kachelofen glühen musste. Leon starrte durch das Fenster hinaus in die Dunkelheit. Minx hatte sich hereingeschlichen und neben ihm zusammengerollt. Die magere Katze hatte wohl die Wärme und das Leben im Haus schmerzlich vermisst. Sie schnurrte leise, als er ihr gedankenverloren den Nacken kraulte.
    »Es ist noch gar nicht so lange her. Drei, vier Generationen vielleicht. Da sind die Menschen in solchen Wintern wirklich erfroren. Man sagt, das wäre ein schöner Tod.«
    »Kein Tod ist schön«, flüsterte Nico. »Niemand will gehen.«
    »Manche schon.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Die Frage ist nicht ob, sondern warum jemand nicht mehr leben will. Der Tod ändert nichts. Er beendet nur und es gibt keine zweite Chance. Ich mag die Bremer Stadtmusikanten.«
    Die Bemerkung überraschte Leon. Er riss sich von der Nacht draußen vor dem Fenster los.
    »Du bist ja ein richtiger Märchen-Junkie.«
    »Ja. Tief in ihnen drin steckt immer eine Botschaft. Vier gequälte Kreaturen sind an einem Tiefpunkt angelangt. Und trotzdem finden sie die Kraft, noch

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