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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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gegessen wurden, und was Olsberg an den fraglichen Tagen von morgens bis abends gemacht hatte. Falls er sich im Verhör nicht widersprach und alles stimmig blieb, würden sie ihn übermorgen noch einmal befragen. Wenn sich auch dann keine Widersprüche zu seiner ersten Version ergaben, dann würden sie ihn wahrscheinlich laufen lassen müssen. Vorläufig.
    Winter ging in sein Büro und packte ein paar Sachen. Er würde heute Nachmittag nach Allmenrod fahren. Mit diesem mysteriösen Jörg Krombach musste er persönlich sprechen. Und mit Frau Pfister hatte er ebenfalls noch ein Wörtchen zu reden. Als er nach einem Beutel suchte, in den er Proviant in Form einer Flasche Cola legen konnte, entdeckte er ganz hinten im Kramfach seines Schreibtisches eine gefaltete Stofftasche. Eine Erinnerung durchfuhr ihn. Diese Tasche war nicht leer. Er nahm sie heraus, sah hinein, tatsächlich: Darin lagen drei abgegriffene Kinderbücher unterschiedlichen Formats. Er wusste genau, wo sie herkamen. Nämlich aus einem der Kinderzimmer im Vogel’schen Haus in Kalbach. Die Bücher hatte er damals mitgenommen, weil sie aus der Stadtbücherei stammten. Er hatte sich um die Rückgabe kümmern wollen. Dann aber hatte er im Schuppen auf dem Hof die zerschossene Tür entdeckt, und die war erst einmal wichtiger gewesen. Den Beutel mit den Büchern hatte Winter bei Rückkunft im Präsidium achtlos in die Schublade gepfeffert, die nächsten Stunden und Tage waren turbulent gewesen, mit Kettler, mit Fock, mit Carola, und irgendwann hatte er die Existenz der Bücher einfach vergessen.
    Winter warf einen Blick auf die Bücher. Sie stammten aus einer Kalbacher «Kinderbücherei». Laut Internet hatte diese jetzt offen. Er konnte das leicht auf dem Weg nach Allmenrod erledigen.
    Den Proviant steckte er zu den Büchern und fuhr den kleinen Umweg über Kalbach. In der Bücherei, die in einem schön zurechtgemachten Fachwerkhaus untergebracht war, begrüßte ihn eine heimelige, altmodische Atmosphäre. Teppichboden, Bücherregale, kein kühler Stahl-und-Glas-Prunk wie im Präsidium. Am Tisch nahe der Tür standen ein Kind und eine Jugendliche zur Rückgabe an. Winter beschloss, nach einem halben Jahr Schlamperei seinerseits jetzt keine Polizei-Sonderrechte geltend zu machen, sondern zu warten, bis er an die Reihe kam. Das junge Mädchen direkt vor ihm gab ein Buch mit einer Art Dinosaurierkopf auf dem Cover ab, das «Die Stadt der träumenden Bücher» hieß. Der Autor oder die Autorin trug den extrem unwahrscheinlichen Namen «Hildegunst von Mythenmetz». Weder das Mädchen noch die Büchereiangestellte schienen das in irgendeiner Weise bemerkenswert zu finden. Winter hatte den Eindruck, diese Bücherei sei eine fremde, wundersame, märchenhafte Welt mit speziellen Regeln, die er nicht kenne. Dann war er auch schon dran, zeigte seinen Dienstausweis, gab eine kurze Erklärung. «Ein Haus, wo ein Verbrechen stattgefunden hat?», fragte die Angestellte mit großen Augen, während sie den Scanner über die Buchrücken führte. «Ach, die sind von den Vogel-Mädchen! Die Bücher hatten wir schon aufgegeben. – Wie geht es den beiden denn?»
    «Darüber kann ich nichts sagen. Waren die oft hier?»
    «Einmal die Woche kamen die, dienstagnachmittags, immer mit der Mutter. Die hat mit den Kindern viel gelesen. Ein liebes, phantasievolles Mädchen, die Merle. Ist ja tragisch, was da passiert ist. – Hoppla, da ist noch was drin. Wollen Sie die mitnehmen? Oder soll ich sie wegwerfen?»
    Die Angestellte schob ihm eins der Bücher aufgeschlagen hin. Zwischen den Seiten lagen zwei bemalte Blätter. «Die nehme ich mit», beschloss Winter.
    Wenn die Kinder hier wöchentlich Bücher ausgeliehen hatten, so waren dies Bilder, die Merle oder Wolke in der Woche vor dem Tod ihrer Eltern gemalt hatte. Es war sehr unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen, dass die Bilder irgendeinen vagen Hinweis enthielten.
    Draußen im Wagen breitete Winter die kindlichen Kunstwerke auf dem Lenkrad aus und spürte sein Herz schneller schlagen. Beide Filzstiftzeichnungen waren beunruhigend, wenn nicht bedrohlich. Eine zeigte einen kahlköpfigen Mann mit riesigen Muskelpaketen, schlitzartigen, gelb blitzenden Augen und auffälligen Zähnen, der etwas am Arm trug, bei dem es sich möglicherweise um eine Waffe handelte. War das etwa der Täter?
    Die andere Zeichnung war auf den ersten Blick ein harmloses Familienporträt mit Vater, Mutter und zwei Kindern. Die beiden Kinderfiguren mit rosa

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