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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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verdrängte das Bedürfnis, Hilal Aksoy jetzt einfach in den Arm zu nehmen. Ihre Haare wehten im Wind. «Ich habe diese Theorie», sagte er, «dass der Fall Vogel der Schlüssel zu den anderen ist, und dass wir ihn nur richtig verstehen müssen, um die anderen zu verstehen.»
    «Und du meinst damit nicht, dass Hendrik von Sarnau sämtliche Taten begangen hat? Direkt oder durch einen Auftragsmörder? Das ist ja die naheliegendste Hypothese.»
    Er schüttelte den Kopf. «Mir will diese Sache mit der Tür hier im Haus nicht aus dem Kopf. Eine abgeschlossene Tür im Gästezimmer, die laut dem Holzexperten Wochen vor der Tat von jemandem mit der Tatwaffe aufgeschossen wurde, ohne dass die Familie Vogel auf die Idee kam, das der Polizei zu melden. Und Merle Vogel weiß, wer es war, aber ihr Vater hat ihr verboten, es zu sagen. Wie um Himmels willen passt das zu Hendrik von Sarnau?»
    Aksoy nickte. «Du hast recht, das passt überhaupt nicht. Noch was. Das ist jetzt totaler Schwachsinn, aber ich sag’s trotzdem. Ich war ja am Tag nach der Tatnacht hier. Am Abend, als ich mit den Kindern raus aus dem Haus bin … die Kinder saßen schon im Auto, da sah ich den Wagen mit den Leuten von der MK kommen. Ich bin dann noch nicht eingestiegen, weil ich erst mal mit denen reden wollte. Es war dunkel, und als ich da vorne auf dem Hof stand und wartete, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass der Täter noch da ist und mich beobachtet. Ich glaube, das war, weil ich da in den Büschen ein Geräusch gehört hatte.» Sie zeigte auf die unordentliche, baumdurchbrochene Hecke, die das Hofgelände an einer Seite begrenzte. «Wahrscheinlich war es irgendein Tier», sagte sie. «Es kam mir nur merkwürdig vor, dass ich so stark reagiert habe; ich neige eigentlich nicht zu solchen Einbildungen.»
    Nein, aber sie hatte einen Instinkt für subtile Signale, für Indizien an der Grenze der Wahrnehmbarkeit. Er erinnerte sich noch, wie sie instinktiv im letzten Jahr aus einer riesigen Vermisstendatei dasjenige Mädchen herausgepickt hatte, das mit einer unbekannten Leiche ohne Gesicht identisch war.
    «Jetzt fällt mir auch was ein», sagte er. «Einmal, als ich hier war, habe ich doch einen Kalbacher Klempner beim Einbruch in Thomas Vogels Schuppen beobachtet. Als der Einbrecher den Hof verlassen hat, da ist er nicht die Stichstraße entlang zurück ins Dorf, sondern er hat den Weg in die Wiesen genommen und wollte wohl auf einem Umweg nach Kalbach zurück. Da ist mir aufgefallen, wenn man bei Vogels ein Verbrechen begeht, sollte man sich eigentlich hüten, den Weg über die Stichstraße zu nehmen. Weil dann klar ist, dass man zu Vogels will oder von Vogels kommt, falls man von jemandem gesehen wird.»
    Ihre Augen weiteten sich. «Du meinst, der nächtliche Motorradfahrer ist eine Fehlspur?»
    Winter nickte. «Es könnte zumindest sein. Wenn ich gerade bei Vogels zwei Leute erschossen hätte, würde ich eher von hier aus über die Felder zur Autobahnauffahrt fahren als direkt am Nachbarhaus vorbei nach Kalbach rein.»
    «Okay», sagte sie, «das können wir bestimmt klären. Ich hänge in Kalbach und Riedberg Fahndungszettel auf mit der Frage, wer in der Nacht vom ersten auf den zweiten Weihnachtstag von den Feldern kommend an dem Vogel-Haus vorbeigefahren ist. Wir würden Zeugen suchen. Und das stimmt ja auch. Wenn der Motorradfahrer nicht der Täter war, ist er ein wichtiger Zeuge, weil er wenige Minuten nach den Schüssen am Haus vorbeigekommen ist.»
    «Wunderbare Idee. Mach das.» Winter fühlte sich erleichtert, als sei in dem Fall ein Knoten geplatzt. «Angenommen», redete er weiter, «die Fälle würden tatsächlich alle zusammenhängen, aber Hendrik von Sarnau wäre nicht der Täter oder Auftraggeber. Wen hättest du in Verdacht?»
    «Dann ist es ein Verrückter. Die ganze Sache ist doch irgendwie krank.»
    «Und wenn du den Fall Vogel alleine betrachtest und Hendrik von Sarnau und der Preiß als Täter ausgeschlossen wären?»
    «Eine Familiensache. Jemand aus Allmenrod.»
    ***
    Andrea sah aus, als hätte sie ein Gespenst gesehen. «Kommst du mal?», sagte sie leise. Ulli stand vom Tisch auf. Dabei sah sie an Merles Ausdruck, dass die etwas mitbekommen hatte und ebenfalls alarmiert war. Ulli folgte Andrea in den Flur. Sie waren gerade beim Abendessen gewesen, als das Telefon geklingelt hatte. Andrea hatte den Anruf entgegengenommen. «Die Polizei wieder?», fragte Ulli beunruhigt. «Oder ist was mit meinem Vater?» Ihr Vater litt unter

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