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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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Gabelung von Mainzer- und Bolongarostraße, sprach er kurz mit dem Kollegen, der die Absperrung bewachte, und erfuhr das Wichtigste. Eine Tote und zwei Verletzte, darunter ein Kind lebensgefährlich. Warum um Gottes willen war es ihm nicht gelungen, das zu verhindern? Denn dass ein Zusammenhang mit «seinen» Fällen bestand, daran zweifelte er keine Sekunde.
    Oben, in einer verwinkelten, unkonventionellen Dachwohnung ganz ähnlich seiner eigenen, fand er in der Küche eine leichenblasse, sportliche dunkelhaarige Frau Ende dreißig vor, die ein etwa dreijähriges weißblondes Mädchen auf dem Schoß hielt. Vielmehr, die sich an dem Mädchen festhielt. So wie das Mädchen sich seinerseits an einem rosa Plüschhasen festhielt.
    Winter war nicht erstaunt, dass er das Mädchen kannte.
    «Du bist die Wolke, stimmt’s?», sagte er. Die Kleine nickte kaum merklich.
    «Andreas Winter, Kripo», stellte er sich der Frau vor. «Sie sind Andrea Vogel?»
    Die Frau schüttelte den Kopf. Es fiel ihr offensichtlich schwer, sich zusammenzureißen und normal zu antworten. «Nein», sagte sie. «Ich heiße Ulrike Stamitz. Ich bin die Lebensgefährtin von Andrea. Andrea ist im Krankenhaus.» Sie warf einen Blick auf den großen Blutfleck auf den Fliesen vor dem Küchenblock.
    «Andrea ist also die leichtverletzte Frau, von der mir die Kollegen erzählt haben», schloss Winter. «Sagen Sie, Frau Stamitz, ist Ihre Lebensgefährtin Andrea Vogel mit Merle und Wolke Vogel verwandt?»
    «Nein.» Ulrike Stamitz sah so hilflos aus, als wisse sie nicht, wie sie Winter die Verhältnisse begreiflich machen solle. «Nein, also, die Namensgleichheit ist zufällig, so wie Andrea auch zufällig aus der Gegend von Lauterbach kommt, wo die Kinder … wo die leibliche Mutter der Kinder auch her war. Diese Zufälle waren einer der Gründe, warum wir uns so schnell für die Kinder entschieden haben. Es kam uns wie Schicksal vor. Die beiden sind unsere Pflegekinder, und wir werden sie hoffentlich auch bald adoptieren. Hoffentlich alle beide. Weil doch Merle jetzt … es geht ihr sehr schlecht. Wir wissen noch nicht …»
    Sie war völlig außer sich, Tränen strömten über ihr Gesicht. «Ich weiß», sagte Winter. «Können Sie mir berichten, was hier heute abgelaufen ist?»
    «Nur halb. Ich war ja nicht da. Ich war noch auf der Arbeit, als es passiert ist, und als ich eben zurückkam, da – ich dachte – o Gott. Also, da war schon alles vorbei. Ich weiß bloß, heute sollte diese Frau Pfister zu Besuch kommen, die Oma der Kinder, und ich habe eben kurz mit Andrea im Krankenhaus telefoniert, und Andrea sagt, die Frau hat plötzlich ein Gewehr rausgeholt und fing an, um sich zu schießen. Und am Ende hat sie wohl …» Ihre Stimme stockte, sie blickte auf Wolke, in deren Gegenwart sie nicht alles aussprechen wollte.
    Winter nickte. «Okay, ich weiß, Frau Pfister hat die Waffe am Schluss gegen sich gerichtet.»
    «Andrea dachte erst, sie will die Kinder entführen. Es könnte sein, dass es um einen Sorgerechtsstreit ging. Die Frau Pfister hat uns am letzten Samstag gesagt, dass sie die Kinder jetzt zu sich nehmen will. Das war uns nicht recht, weil sich die Frau Pfister lange nicht um die Mädchen gekümmert hatte, und die Kinder schienen es auch nicht zu wollen. Es war gerade schön, so wie es war. Ich nehme an, dass es irgendwie darum ging. Aber die Frau muss doch verrückt sein.»
    «Ja, ein bisschen verrückt war sie sicher. Wie sehr, das wird sich noch herausstellen.» Winter war sich in der Tiefe seines Herzens sicher, dass Gunhild Pfister voll schuldfähig war, egal, welche wilden Motive sie antrieben. Er hatte oft genug mit ihr gesprochen. Sie konnte zweifellos moralisch einschätzen, was sie tat. Aber da sie nun tot war, hatte sie sich einem Strafprozess ja entzogen. Er sah ihr Gesicht vor sich, wie sie stolz zu ihm sagte: «Ich gebe den Gnadenschuss.» Nun hatte sie es bei sich selbst getan.
    Winter ließ Ulrike Stamitz und die kleine Wolke alleine, wanderte durch die Wohnung, die spartanisch und sehr zusammengewürfelt eingerichtet war. Die Leiche tat er sich nur mit wenigen Blicken an. Vom Kopf war nicht mehr viel übrig.
Schmerzlos und wildbretschonend.
In der Ecke des Zimmers lagen zusammengewürfelte Plastik- und Holzkisten, auf dem Boden darunter Blut. Merles Blut? Winter ahnte, dass sich die Kinder hinter den Kisten vor der Großmutter hatten verstecken wollen. Das doppelläufige Jagdgewehr, das die Tote benutzt hatte, lag halb auf der

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