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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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Leiche. Zu Füßen der Toten und zu seinen eigenen lag aber noch eine Waffe. Ein großer, stählerner Revolver älterer Bauart.
    Endlich, dachte Winter, bückte sich, malte Kreide um das Fundstück, zog Handschuhe an und tütete es ein. Sein Gehirn ratterte. Konnte es wirklich sein, was er jetzt ahnte? Von hinten hörte er Leute kommen, erkannte Freimanns Stimme: Der Erkennungsdienst war da. Er konnte gehen. Und das würde er auch. Er musste nachdenken.
    Er besprach sich kurz mit Freimann, ging dann noch einmal in die Küche zurück, wo er dasselbe Bild vorfand wie vorhin. «Frau Stamitz, ich muss Sie für morgen früh zu einer Aussage ins Präsidium bitten. Sie können Wolke ruhig mitbringen. Irgendjemand bei uns wird sich so lange um die Kleine kümmern.» Mit «irgendjemand» hatte er Hilal Aksoy im Sinn, die Wolke schon kannte. Winter hoffte bloß, dass Hilal sich nicht in ihrer Feministinnenehre gekränkt fühlen würde, wenn sie als Kindermädchen missbraucht wurde.
    «Sie haben ja keine Ahnung, wie schlimm das für die Kinder ist», sagte Ulrike Stamitz mit trostlosem, weinerlichem Ton.
    Winter setzte sich. «Doch, Frau Stamitz, glauben Sie mir, das habe ich.»
    «Nein, Sie wissen ja nicht, was den Kindern schon alles passiert ist. Diese Wohnung sollte ein sicheres Nest für sie sein, hier sollten sie sich geborgen fühlen.»
    «Das wird bestimmt wieder. Frau Pfister kann ihnen jetzt nichts mehr tun. Und Kinder kommen oft schneller über ein traumatisches Erlebnis hinweg als Erwachsene.»
    «Wenn Merle es überhaupt schafft», murmelte Frau Stamitz.
    Winters Handy klingelte, es war Hilal Aksoy.
    «Bist du noch in Höchst?», fragte sie.
    «Ja, aber ich bin gerade auf dem Sprung.»
    «Ich bin jetzt auf dem Weg dahin. Nach Höchst. Bleibst du noch so lange da? Ich müsste kurz mit dir reden. Es ist wichtig.»
    Was es wohl war, was sie nicht am Telefon sagen wollte? «Okay», sagte Winter, «ich warte auf dich.»
    In der Zwischenzeit rief er im Höchster Krankenhaus an, erkundigte sich nach Merles Zustand. Kritisch, hieß es. Eine Kugel hatte ihre Hüfte zertrümmert, und dann hatte sie noch einen Streifschuss an der Halsschlagader abbekommen. Letzterer war im Moment das Hauptproblem. Sie hatte sehr viel Blut verloren und eine Art Schlaganfall deshalb erlitten.
    Freimann steckte den Kopf zur Küchentür herein. «Komm grad mal, ich hab hier was für dich», nuschelte er zwischen Bart und Maske.
    Draußen im Flur steckte er Winter ein Blatt liniertes Papier zwischen die behandschuhten Finger. «Das haben wir in einem Rucksack gefunden, der auf dem Klo stand. Der Rucksack gehörte dieser Pfister, da ist ein Portemonnaie mit Ausweisdokumenten von ihr drin.»
    Der Zettel war eng und in einer zwanghaft ordentlichen Schrift beschrieben.
    Winter las:
    Der Herrgott weiß, dass ich das Richtige tue. Ich muss das Böse, das aus meinem Schoß gekrochen ist, ausrotten. Denn es heißt, der Herr verfolgt die Sünde der Eltern an den Kindern bis ins dritte Glied. Ich habe lange gebraucht, bis ich es verstanden habe, wie dies gemeint ist, und dass es ein Engel des Herrn war, der mir diese Worte einst zugesandt hat. Oder vielleicht spricht durch Jörg Krombach der Heilige Geist, wenn er seine Phasen hat. Als das mit Verena passiert ist, habe ich endlich auch verstanden, warum es heißt, dass die Eltern ihre Kinder fressen werden zur Strafe für ihre Sünden. Gott verzeihe mir, dass ich Reinhard umgebracht habe. Er war auch ein Mörder, aber ich habe es nicht deshalb getan. Ich konnte meine Pflicht nicht erfüllen, bevor er tot war. Ich wollte nicht, dass er es weiß. Er hätte es nicht verstanden. Reinhard war zu irdisch veranlagt, während ich und Sabrina vergeistigt sind und immer zu viel wussten und gelitten haben.
    Ich bitte darum, dass man in der katholischen Kirche in Lauterbach Kerzen für mich anzündet und für mich betet. Ich habe nichts Böses getan, sondern meine Pflicht erfüllt. Ich wollte nie jemandem schaden. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich trotzdem in die Hölle kommen werde, weil ich mein Leben nehmen werde. Aber in der Hölle werde ich wenigstens meine Enkelchen wiedersehen.
    Winter war innerlich noch vollkommen mit dem beschäftigt, was er gerade gelesen hatte, als plötzlich Hilal Aksoy vor ihm stand. Sie sah bleich und todunglücklich aus.
    «Andi, lass uns in irgendein Zimmer gehen, ich muss mit dir reden.»
    Er ahnte dunkel, was kommen würde; nahm sie wortlos mit in das Wohnzimmer, wo es nichts

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