Schattenhaus
Frankfurter Tötungsdelikte der letzten fünfzehn Jahre. Und kein einziges Mal war der Täter ein Kind unter vierzehn. Kinder töten einfach zu selten, um verdächtig zu sein.»
«Danke, Andi», sagte Aksoy leise und drückte kurz seine Hand. «Gut, was bei Vogels passiert ist, haben wir ungefähr verstanden. Aber danach … ich kann mir das überhaupt nicht erklären.»
«Betreffs der Sache Feldkamp ist es vielleicht nicht so kompliziert», sagte Winter. «Der Verdächtige Olsberg hat ja seiner Anwältin gesagt, er glaubt, der Giftanschlag sei gegen ihn gerichtet. Da drängt sich doch ein Verdacht auf.»
«Dass Olsberg sich des Missbrauchs schuldig gemacht hat?»
Winter nickte.
«Das ist schlimm für dich, oder?», fragte sie.
«Wie meinst du das?»
«Du magst den doch, dachte ich. Oder hattest zumindest gehofft, dass es mit der Resozialisierung in diesem Fall mal geklappt hat.»
Vor einem Jahr hätte Winter aggressiv reagiert und alles abgestritten, wenn sie es gewagt hätte, ihm so nahezutreten.
«Man gibt die Hoffnung nie auf», sagte er nur kurz angebunden.
Sie lächelte verschmitzt und sah so aus, als wolle sie eine Bemerkung machen, die sie sich dann aber verkniff.
«Ich gehe davon aus, dass du diesmal selber mit Olsberg sprechen willst», sagte sie schließlich.
«Richtig», sagte er kurz.
Und er würde es bald hinter sich bringen.
***
Vorher musste er mit Fock das weitere Vorgehen abstimmen. Eigentlich. Aber laut Hildchen war Fock gerade in einer Besprechung und würde danach direkt zur Staatsanwaltschaft fahren. Offenbar waren irgendwelche Konsultationen geplant, zu denen man Winter nicht einlud.
Das ärgerte ihn einerseits. Andererseits gab es ihm eine Entschuldigung, die Sache ohne weiteren Aufschub allein und genau so in die Hand zu nehmen, wie er es für richtig hielt. Als Erstes bestellte er Sarnau für später zur Vernehmung. Es war Winter ein Bedürfnis, dem aalglatten Typen noch mal so richtig seine Meinung zu sagen, ihm plastisch vor Augen zu führen, was die Folgen seines Verhaltens waren. Hauptsächlich aber hoffte er, sogar Sarnau würde sich mit Merles Geschichte aus der Fassung bringen lassen, sodass er endlich gestehen würde, Sumathi zu sein. Ein teurer, redegewandter Anwalt könnte ihn ohne Geständnis vor Gericht nämlich sonst noch rausboxen.
Dann wählte Winter die Nummer von Carsten Tamm.
«Herr Tamm? Eine Frage: Warum haben Sie uns nicht gesagt, dass die Kinder, die Sie zum Todeszeitpunkt Ihrer Frau bei sich hatten, nicht Ihre waren, sondern die von Sabrina Vogel?»
«Ja, ich hab doch gedacht, Sie wüssten das!»
«Wieso sollten wir das wissen? Sind wir Hellseher?»
«Ja, nein, aber an dem Tag, als Verena gestorben ist, kam ein Mann vom Jugendamt zu mir und sagt, er sei von der Polizei verständigt worden, dass die Verena tot ist, und er soll die Kinder wegholen. Was soll ich denn da denken? Da müssen Sie doch gewusst haben, dass das Pflegekinder sind. Da denk ich doch natürlich auch, Sie wissen, welche!»
Ein Missverständnis. Der Kollege hatte im Jugendamt bloß gesagt, bei der Familie Tamm, Adresse soundso, sei die Mutter gestorben, der Vater sei Trinker und überfordert, und man möge bei der Familie mal nach dem Rechten sehen. Die Jugendamtsmitarbeiter mussten beim Eingeben der Daten gemerkt haben, dass es sich um eine ihrer Pflegefamilien handelte. Eine unangenehme Überraschung. Natürlich hatten sie die Kinder sofort abgeholt.
«Direkt gefragt nach den Kindern hat mich ja keiner», redete Herr Tamm weiter. «Wieso ist denn das jetzt wichtig?»
Winter ignorierte das.
«Noch eine Frage, Herr Tamm. Mit welchem Verkehrsmittel ist Ihre Frau für gewöhnlich zu Professor Grafton gefahren?»
«Na, zu Fuß ist sie gegangen.»
«Auch dienstags, wenn sie die Kinder mitgenommen hat?»
«Ja, sicher. Das sind doch höchstens zwei Kilometer von uns zum Professor. Ein Auto haben wir nicht, und Fahrkarten sind so teuer geworden beim Scheiß- RMV . Wissen Sie, wie viel die Verena hätt bezahlen müssen, mit den Kindern zum Grafton und zurück? Da hätt sie sich gleich das Arbeiten sparen können, wenn sie eine Karte gezogen hätte.»
Die sparsamen Tamms.
Bei denen ging es immer ums Geld.
Und die Fahrpreise hatten tatsächlich stark angezogen in den letzten Jahren. «Warum hat Ihre Frau denn ausgerechnet dienstags die Kinder an den Arbeitsplatz mitgenommen?»
«Weil nur dienstags die Frau Grafton nicht im Haus war. Die hat das nicht gern gesehen, wenn die Kinder
Weitere Kostenlose Bücher