Schattenhaus
dabei waren. Hatte Angst, dass die was kaputt machen.»
«Und an den anderen Tagen? Was war da mit den Kindern?»
«Es waren ja Ferien in der Zeit, als wir die Mädchen hatten. Die Kleine hatte ich am Hals. Die Große haben wir meistens in eine Ferienbetreuung von der Kirchengemeinde gesteckt. Das hat nur drei Euro am Tag gekostet. Aber das läppert sich auch, über sechs Wochen. Was uns die Kinder gekostet haben …»
«Das Pflegegeld dürfte dafür ja wohl ausgereicht haben», kommentierte Winter trocken.
Die günstige Ferienbetreuung der Kirchengemeinde war sicher der Ort, von dem aus Merle Andrea Vogel aus dem Telefonbuch gepickt und sie angerufen hatte, auf der verzweifelten Suche nach einer «neuen Mami». Bei der Familie Tamm waren die Vogel-Mädchen nicht mit Liebe überschüttet worden, so viel war klar.
«Wie kamen Sie denn überhaupt dazu, die Kinder in Pflege zu nehmen?», fragte Winter.
«Ah ja, wir hatten früher schon immer mal Pflegekinder, wie ich noch gearbeitet hab. Eine undankbare Sache ist das. In den letzten Jahren hatten wir deshalb keine mehr, bloß, bei den Kindern von der Sabrina Pfister, also, Vogel, da wusste man ja, dass das wahrscheinlich brave Mädchen sind und nicht so Gesocks, was man da sonst so bekommt zur Pflege. Aber ich hatte damit gar nix zu tun. Die Verena hat das mit der Brigitte eingefädelt, also, mit meiner Schwiegermutter, dass wir die beiden nehmen. Die Brigitte hatte nämlich im Dorf gehört, die Pfister-Enkel hätten von ihrer Pflegestelle in Frankfurt weggemusst und wären jetzt wieder im Heim. Und dann meint sie zur Verena, nimm du doch die Pfister-Mädchen.»
Es war an Verenas Geburtstag Ende Juni gewesen. Die Tamms waren nach Allmenrod eingeladen, inklusive dem Hessenticket für die Fahrt. Am Kaffeetisch auf der Terrasse hatten sie gesessen. Die Brigitte hatte auf Verena eingeredet. «Dann kannst du das Pflegegeld kassieren, und die Gunhild ärgert sich schwarz, dass jemand von den Krombachs ihre Enkelchen hat. Die alte Hex. Erzählt rum, der Jörg hätt ihre Tochter erschossen. Nein, sie wär’s nicht gewesen mit dem Gerücht, lügt sie mir ins Gesicht, wie ich sie neulich drauf angesprochen hab. Wer’s glaubt, wird selig. Wer soll’s denn sonst gewesen sein. Am besten, Verenchen, du gehst morgen gleich zum Amt, eh die Kinder weg sind. Sag, du bist aus demselben Dorf und wärst eine Freundin von der Sabrina gewesen. Wenn das klappen tät, was könnt man ihr frech ins Gesicht blicken, der Gunhild, der bösen Hex.»
«Und das Jugendamt hat es nicht gestört, dass Sie invalider Alkoholiker sind?», fragte Winter sarkastisch.
«Also, nach Alkoholkonsum hat mich keiner gefragt», verteidigte sich Tamm. «Dass ich krank bin, wussten die aber schon.»
Sicher, die Zuckerkrankheit hatte er angegeben.
«Stimmt das also doch», fragte Tamm, «was meine Schwiegermutter meint – die alte Pfister hätte die Verena aus Rache erschossen?»
«Darüber möchte ich mich derzeit nicht äußern», sagte Winter. «Ach, übrigens, ganz am Rande, haben Sie zufällig eins der Mädchen sexuell missbraucht?»
«Na, jetzt hört’s aber auf!», sagte Tamm entrüstet. «Mit einem kranken Mann wie mir kann man’s ja machen!»
***
Winter kippte einen Kaffee runter, essen konnte er nichts. Dann machte er sich auf den Weg. Zwanzig Minuten später klingelte er unangekündigt an einer Wohnung in einem unsanierten Sechziger-Jahre-Bau irgendwo im Gutleutviertel. Matthias Olsberg hatte hier vor wenigen Tagen ein WG -Zimmer bezogen. Winter hatte Glück und erwischte ihn zu Hause.
«Herr Olsberg, Sie haben mit Ihrem Schweigen Schlimmes angerichtet», fiel Winter mit der Tür ins Haus. Diese Taktik hatte er nicht lange abgewogen, sie war die einzige Möglichkeit, diesem Probanden etwas zu entlocken. «Ich nehme an», sprach er weiter, «Sie wollten wie damals bei Ihrer Schwester wieder ein Mädchen schützen. Und Ihre Methode war wieder genau die falsche.»
Olsberg war blass geworden. «Was wollen Sie damit sagen? Was ist passiert?»
«Das erzähle ich Ihnen, wenn Sie mir die Wahrheit gesagt haben.»
«Herr Winter, was auch immer Sie denken, es war nicht so.» Olsberg stand noch immer in der Tür seines WG -Zimmers und versperrte den Eingang.
«Dann sagen Sie mir doch, wie es wirklich war», forderte Winter ihn auf.
Olsberg zierte sich noch einige Minuten. Erst als Winter platt behauptete, dass er keinerlei Ermittlungen gegen ihn plane, ließ Olsberg Winter in das
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