Schattenhaus
wollen unbedingt, dass sie bei uns bleiben kann.»
«Von unserer Seite aus spricht nichts dagegen. Merle ist ja noch ein Kind, unter vierzehn ist sie nicht schuldfähig, das wissen Sie sicherlich. Und in diesem speziellen Fall ist das ja auch richtig so. Sabrina Vogel hat ein furchtbares Verbrechen an ihrer Tochter begangen. Unfassbar, dass sie das Mädchen für so etwas benutzt hat und ihr das Hirn mit diesem Dämonenunsinn vollgestopft hat. Ganz davon zu schweigen, dass sie ihren Mann mit den Kindern machen ließ, was er wollte … Dann gibt es noch einen gewissen Herrn von Sarnau, der Sabrina Vogel diese Geschichte mit dem anderen Planeten eingeredet hat. Dank Ihrer Aussage wissen wir jetzt, dass Sabrina Vogels gewaltsamer Tod tatsächlich die Folge davon ist, und der Mann kann jetzt ohne Wenn und Aber wegen Mordes angeklagt werden, obwohl er nicht selbst die Waffe gehalten hat. Merle würde zumindest betreffs der Tötung ihrer Mutter straffrei ausgehen, selbst wenn sie strafmündig wäre. Und was ihren Vater anbelangt, würde wahrscheinlich Totschlag in einen minderschweren Fall dabei herauskommen. Ich habe nur Angst, dass das, was Sie mir bis jetzt erzählt haben, noch nicht alles ist.»
Ulrike Stamitz zögerte kurz, dann sagte sie: «Das ist alles, was ich weiß.»
«So? Ich fürchte, dass es da noch mehr zu hören gibt. Sie sollten darüber mit Merle reden, sobald sie wieder ansprechbar ist. Ihnen wird sie hoffentlich die Wahrheit sagen.»
Ulrike Stamitz schüttelte den Kopf. «Okay, Herr Winter, ich bin ganz ehrlich. Andrea und ich haben eben am Telefon besprochen, dass ich Ihnen das alles nicht hätte sagen dürfen und wir Ihnen weitere Dinge, die Merle uns im Vertrauen erzählt, nicht weitergeben werden. Wir haben Angst, dass irgendjemand auf die Idee kommt, die Kinder müssten in ein Heim für Schwererziehbare oder so. Und das ist das Letzte, was ihnen guttun würde. Wenn jemand Merle helfen und ihr klarmachen kann, wie schlimm das ist, was sie getan hat, dann wir. Uns vertraut sie. Ich glaube, wir haben schon einen großen Schritt in diese Richtung gemacht. Also, meine Aussage ist hiermit beendet. Und das Jugendamt wird auch nicht zulassen, dass Sie die Kinder erneut verhören.»
«Ach, tatsächlich?», sagte Winter aufbrausend. «Hören Sie mir doch mit dem Jugendamt auf. Wenn diese Herrschaften mal gespurt und ein bisschen aufgepasst und mit uns vernünftig kommuniziert hätten, wäre die Hälfte von dem, was geschehen ist, nicht passiert. Und Sie beide haben auch nicht kooperiert. Wissen Sie eigentlich, dass ich seit Samstag jeden Tag Ihre Freundin Andrea Vogel anrufe und sie um Rückruf bitte, um sie nach Kontakten zu gewissen Personen zu fragen und sie vor einem möglichen Mordanschlag zu warnen – und was passiert? Erst höre ich tagelang gar nichts. Dann gestern Mittag eine SMS , ich möchte sie doch bitte nicht mehr belästigen, sie wisse, dass sie nicht mit uns sprechen müsse. Was sollte das denn?»
Ulrike Stamitz sah betreten drein.
«Das war ein Missverständnis», sagte sie schließlich. «Wir dachten, Sie wollen mit den Kindern reden. Das Jugendamt hatte gesagt, wir sollen das nicht zulassen.»
«Nein», sagte Winter sarkastisch, «das wäre ja auch skandalös, wenn das Jugendamt die Polizei bei einer Mordermittlung unterstützen würde. Okay, Sie können jetzt gehen. Und ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg bei Ihrer schweren Aufgabe mit den Kindern.»
Allerdings hatte Winter keineswegs vor, es dabei zu belassen.
***
Die Eltern von Birthe Feldkamp waren noch immer auf ihrer Selbsterfahrungs-Trekking-Nepal-Reise und nicht zu erreichen. Dafür hatte Aksoy den ganzen Morgen das Jugendamt belagert, bis dort endlich jemand ein Einsehen hatte und alle relevanten Informationen herausgab. Die Ahnung, die ihr gestern Abend gekommen war, bestätigte sich voll und ganz: Die Vogel-Mädchen waren in den sieben, acht Monaten seit dem Tod ihrer Eltern zwischen Heimaufenthalten und Pflegeeltern hin- und hergeschoben worden. Im Mai und Juni waren sie bei Birthe Feldkamp gewesen. Im Juli bei Tamms.
Aksoy sah sehr mitgenommen aus, und das besserte sich nicht, als Winter ihr erzählte, was er eben gehört hatte. In halbem Egoismus nutzte er ihr Unglück aus, um sie im Flur, als sie kurz alleine waren, noch einmal tröstend zu umarmen und seine Nase in ihre Haare zu drücken, bevor er sich auf den Weg zu Fock machte.
Winter schlug dem Chef in dessen Büro vor, Nötzel per Freisprechfunktion
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